AP/KEVIN ESTRADA
Gedanken für den Tag
Ein Aufschrei oder keiner
Johannes Modeß, evangelischer Pfarrer, über Kunst, Exzess und Skandal
2. April 2024, 06:57
Gerade liegen Karfreitag und Ostern hinter uns. Und damit eine Zeit, in der eine Wesensverwandtschaft von Kunst und christlicher Religion begründet liegt. Schließlich kennen beide den Skandal als ein Mittel, Menschen neue Perspektiven zu ermöglichen.
Paulus schreibt, dass die christliche Verkündigung, die von einem gekreuzigten Messias, ja: einem gekreuzigten Gott redet, für die Menschen im Umfeld skandalös sei. Ein Gott, der schwach ist und leidet, der verspottet und verschmäht wird - so ein Gott passte in kein Gottesbild, das in der antiken Welt vertreten wurde. Da ging es doch um Stärke, Leidensunfähigkeit, Macht, vielleicht sogar Allmacht und Herrschaft. Der gekreuzigte Gott, das war ein Bild, das in kein Gottesbild damals passte.
Und so funktionieren Skandale noch heute. Es sind Bilder, die nicht ins Bild passen. In ihnen wird sichtbar, dass Normen überschritten wurden, die in einer Gesellschaft verbindlich schienen. Dadurch wird die Gesellschaft angeregt, diese Normen zu diskutieren und neu auszuhandeln. Jede Skandalkunst hat diesen Mechanismus für ihre Zeit neu durchbuchstabiert. Ob Caravaggio, der um 1600 Prostituierte als Madonnen zeichnete und dadurch Heiliges und Allzu-Profanes vermischte; oder heute Banksy, der mit seinem Wirken immer wieder die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze des Kunstmarktes sichtbar und dadurch kritisierbar macht.
Skandale sind also gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Sie machen ohne erhobenen Zeigefinger Veränderung möglich. Sie fragen: Müssen wir als Gesellschaft festhalten an gewohnten Bildern oder lohnt es sich, neue Perspektiven anzunehmen? Kunst kann solche Auseinandersetzungen in der Gesellschaft
Service
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Gore
Titel: PERSONAL JESUS
Ausführende: Nina Hagen
Länge: 04:01 min
Label: Koch LC12677