AP/KEVIN ESTRADA
Gedanken für den Tag
Lassen sich Skandale wiederholen?
Johannes Modeß, evangelischer Pfarrer, über Kunst, Exzess und Skandal
6. April 2024, 06:57
Am 31. März 1913 ereignete sich im Wiener Musikverein einer der größten Skandale der Musikgeschichte - das sogenannte Watschenkonzert. Das Publikum war damals durch die Musik der Vertreter der Neuen Musik, vor allem Arnold Schönberg und Alban Berg, derartig in Rage gebracht worden, dass ein großer Tumult ausbrach.
Schönberg dirigierte selbst und drohte vom Pult mit gewaltsamem Eingreifen der Staatsgewalt, zeitgenössische Karikaturen zeigen Menschen in guter Abendgarderobe, wie sie durcheinanderpurzeln und einander schlagen, zerren und treten.
Im Mai des heurigen Jahres wird im Rahmen der "Wiener Sternstunden" der Versuch gemacht, Teile des Programms, flankiert von Stimmen aus zeitgenössischen Quellen, wieder aufzuführen. Vermutlich wird es dem Abend ergehen wie dem Heldenplatz 2010: Der Skandal wird wohl ausbleiben. Denn auch unsere Klangideale und -gewohnheiten haben sich in den letzten 100 Jahren verändert.
Die Idee der Erinnerung an das Konzert und seiner Wiederaufführung stellt uns aber eine interessante Frage: Wofür würden wir heute kämpfen? Das Watschenkonzert erzählt nämlich auch davon: Wo Skandale sind, gibt es keine Indifferenz. Niemand empört sich über etwas, das ihm oder ihr wurscht ist. Mit den falschen Mitteln zeigte das Publikum damals also auch dies: Musik ist uns nicht wurscht.
In Zeiten wachsender Indifferenz gegenüber gesellschaftlichen Schieflagen kann uns das Watschenkonzert vielleicht daran erinnern: Manchmal lohnt es sich aufzustehen und zu kämpfen für Dinge, die wichtig sind. Es darf aber auch durchaus gewaltfrei sein.
Service
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Arnold Schönberg 1874 - 1951
Titel: Kammersymphonie Nr.2 op.38
* Adagio - 1.Satz (00:08:47)
Ausführende: English Chamber Orchestra
Leitung: Jeffrey Tate
Länge: 08:47 min
Label: EMI 7490572