Zwischenruf

Naturschauspiel für Frühaufsteher

von Prof. Martin Lintner, katholischer Moraltheologe in Brixen

Die heimischen Bergwälder sind um diese Jahreszeit Schauplatz eines Naturereignisses, das mich jedes Jahr von Neuem fasziniert: die Auerhahnbalz.

Um sie zu beobachten, muss man einige Anstrengung auf sich nehmen und schon kurz nach Mitternacht aufstehen. Erst nach oft langen Fußwegen in der Dunkelheit erreicht man die Balzplätze hoch oben in den einsamen, teils noch tief verschneiten Wäldern. Je näher man dem Balzplatz kommt, umso vorsichtiger muss man sein, denn schon das kleinste Geräusch wie das Knirschen des Schnees unter den Schuhen oder das Knacksen eines Ästchens kann das Auerwild verschrecken.

Noch in der Dunkelheit beginnt der Hahn hoch oben auf einem Baum seine Balzstrophen, die aus urtümlichen Lauten bestehen und die er an einem Morgen hunderte Male hinausschmettern kann. Beim Morgengrauen flattert er zu Boden und balzt bis weit in den Vormittag hinein weiter, um sein Revier zu verteidigen und die einfliegenden Hennen zu beeindrucken.

Leider gehört das Auerhuhn zu den bei uns bedrohten Wildtierarten, weil es immer weniger geeigneten Lebensraum vorfindet und weil die Orte, die ein günstiges Habitat darstellen, oft genau jene Stellen sind, die für Wintersportarten oder für Mountainbiking interessant sind. Es ist ein typischer Fall von Interessenskonflikt zwischen Natur- und Tierschutz auf der einen und Tourismus und Freizeitsport auf der anderen Seite. Obwohl beispielsweise bei uns in Südtirol viel von Nachhaltigkeit die Rede ist, werden immer noch neue Skigebiete und Lifte gebaut, auch mitten durch Auerwildhabitate - obwohl mit der derzeitigen klimatischen Entwicklung absehbar ist, dass diese Gebiete in knapp einem Jahrzehnt wegen des Schneemangels kaum mehr wintertouristisch genutzt werden können.

Als Christ frage ich mich: So kann es in der Schöpfungserzählung im ersten Kapitel der Genesis doch nicht gemeint sein, wenn es dort heißt: "Macht euch die Erde untertan und herrscht über die Tiere." Heißt das "Baut Skilifte dorthin, wo ihr es für richtig haltet, ohne Rücksicht auf die dortige Fauna?" Wörtlich übersetzt heißt die Bibelstelle: Setzt euren Fuß auf die Erde und seid verantwortlich für die Tiere. Im zweiten Genesiskapitel wird erläutert, wie es zu verstehen ist. Dort lesen wir: "Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und behüte." Das beinhaltet Behutsamkeit und Achtsamkeit.

Die 1964 verstorbene US-amerikanische Biologin und Umweltaktivistin Rachel Carson war überzeugt, dass eine der stärksten Motivationsquellen für den Umweltschutz das Staunen ist. Wir müssen die Schönheit der Natur erfahren, wenn wir sie schützen wollen, sagte sie. Deshalb regte sie an, dass wir ganz bewusst neu lernen, über die Natur zu staunen, indem wir sie unmittelbar und zweckfrei erleben.

Das erinnert mich an das Ende der Schöpfungserzählung in Genesis 1: "Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, es war sehr gut. Dann ruhte er am siebten Tag." Anders formuliert: Alles war sehr schön, und Gott erfreute sich an seinem Werk. Wer weiß, vielleicht erfreut sich Gott auch am wunderbaren Schauspiel balzender Auerhähne. Ich kann es mir gut vorstellen.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Muthspiel
Album: TIMEZONES
Titel: Asleep (for Christine)/instr.
Ausführende: Wolfgang Muthspiel Trio
Ausführender/Ausführende: Wolfgang Muthspiel /Gitarre
Ausführender/Ausführende: Peter Herbert /Bass
Ausführender/Ausführende: Alex Deutsch /Drums, Percussion
Länge: 05:28 min
Label: Amadeo 8390132

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