Bub mit Skateboard und Helm

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Punkt eins

Viertelschwester, Fake Papa, Alien-Stiefeltern

Wie Kinder die Trennung, Scheidung und eine "richtige" Familie sehen. Gäste: Univ.-Prof. Dr. Ulrike Zartler, Professorin für Familiensoziologie am Institut für Soziologie der Universität Wien, Projektleiterin & Mag.a Romi Leonhardt, Psychologin, Landesleiterin RAINBOWS-Wien. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

"Ich hab gehört, wenn die Eltern öfter als dreimal pro Woche streiten, heißt das, dass sie sich scheiden lassen". "Scheidung ist im Gesetz verboten, wenn die Kinder jünger als acht Jahre sind, habt ihr das gewusst?" "Wenn Eltern sich nicht entscheiden können, wo das Kind wohnen soll, kommt das Kind in ein Heim." "Nach einer Scheidung, gibt es weniger Streit".

Jedes vierte minderjährige Kind in Österreich erlebt die Scheidung seiner Eltern. Das "Trennungsrisiko" - die Wahrscheinlichkeit, die Trennung der Eltern bis zum Alter von 15 Jahren zu erleben - liegt sogar bei 40 %. Entsprechend sind Trennung und Scheidung im Alltag vieler Kinder große Themen; auch wenn sie nicht selbst davon betroffen sind, sind sie im Familien-, Freundes- oder Schulkolleginnenkreis häufig damit konfrontiert.

Was Kinder darüber denken, was sie wissen und zu wissen glauben und wie sie sich untereinander über die Trennung der Eltern austauschen, dazu gab es bis vor Kurzem kaum Forschung. Auch nicht dazu, wie Kinder über Nachscheidungsfamilien kommunizieren und welche Vorstellungen, (Vor-)Urteile und (Fehl-)Informationen sie in dem Zusammenhang beschäftigen.

Ulrike Zartler, Professorin für Familiensoziologie an der Universität Wien, hat mit dem Projekt "SMiLE - Scheidung mit Illustrationen erforschen", das sie geleitet hat, diese Forschungslücke teilweise geschlossen und dabei eine neuartige Forschungsmethode in die Sozialwissenschaften eingebracht: Concept Cartoons - Comics, in denen sich gezeichnete Figuren in einer Gruppe über ein bestimmtes Thema via Sprechblasen austauschen und verschiedene Sichtweisen äußern. Eine ideale Methode, ursprünglich aus den Naturwissenschaften, um unterschiedliche Meinungen und Zugänge zu formulieren und zu diskutieren, ohne dass sich die Beteiligten getestet fühlen würden oder über sich selbst sprechen müssen, denn: Ulrike Zartler forscht nicht über Kinder, sondern mit Kindern.

Soeben ist ein Fachbuch zum Thema erschienen: In "Concept Cartoons. Methodische Grundlagen und Umsetzung in der Familienforschung" (Beltz Juventa, 2024) fasst das Team um Ulrike Zartler zusammen, wie Concept Cartoon-Diskussionen angewendet werden können. Und seit drei Jahren leitet Ulrike Zartler ein Nachfolgeprojekt: "Was kommt nach der Scheidung? Concept Cartoons in partizipativer Familienforschung mit Kindern". 2025 wird dieses Projekt mit Schwerpunkt auf Nachscheidungsfamilien abgeschlossen sein und die Forschungslücke weiter schließen.

"Scheidungen werden nicht normaler, nur weil sie häufiger vorkommen", sagt Ulrike Zartler, "und das Trennen dauert ein Leben lang, es ist ein Prozess", gibt sie zu bedenken. Jedes Kind reagiert anders auf die Trennung der Eltern, sagt Romi Leonhardt, aber es gibt Ressourcen und Werkzeuge, damit Kinder gestärkt mit ihrer neuen Lebenssituation zurechtkommen können - und nicht jede Scheidung muss traumatisch sein, auch wenn die Erwachsenen Kindern oft viel zumuten. Die Psychologin Romi Leonhardt arbeitet bei dem Verein RAINBOWS, in Kleingruppen mit Kindern, in Schulworkshops und Elternberatungen. RAINBOWS wurde 1983 in den USA gegründet, da Kinder und Jugendliche nach einer Trennung oder Scheidung ihrer Eltern keine Möglichkeit hatten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. In Österreich gibt es RAINBOWS seit 1991 als einzige bundesweit tätige Organisation, die Kinder und Jugendliche nach Trennung bzw. Scheidung oder Tod betreut.

Warum ist es sinnvoll mit Kindern über Familien, Trennung und Scheidung zu forschen und worum geht es in den Concept Cartoons? Was denken, fühlen und wissen Kinder, beispielsweise über das Familiengericht, den Kinderbeistand und Unterstützungen? Und was ist ihnen wichtig? An welche Regeln sollen sich Eltern nach einer Trennung halten?

Ulrike Zartler berichtet von berührenden Situationen, den Herausforderungen ihrer Forschungen und jüngsten Ergebnissen, die auch zeigen, dass das nach wie vor bestehende Ideal der bürgerlichen Kernfamilie die Lebensrealitäten nach einer Scheidung benachteiligt.

Wie feiern Kinder nach einer Trennung Geburtstag? Wer gehört nach einer Trennung zur Familie? Ist der gemeinsame Besuch von Schulveranstaltungen oder ein gemeinsamer Urlaub sinnvoll?

Romi Leonhardt erzählt, wie sie in RAINBOWS-Gruppen mit Kindern und Eltern ins Gespräch kommt und welche Lösungen sich bewährt haben, damit alle - vor allem die Kinder - mit der veränderten Familiensituation besser zurechtkommen.

Diskutieren Sie mit und stellen Sie Ihre Fragen, berichten Sie von Ihren Erfahrungen! Sie erreichen uns live während der Sendung kostenfrei aus ganz Österreich unter 0800 22 69 79 und schriftlich jederzeit per E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Hilfe und Rat für junge Menschen:
147 - Rat auf Draht
RAINBOWS
Kinder- und Jugendanwaltschaft
die möwe

SMiLE - Projekthomepage

Broschüre: Wenn Eltern sich trennen

RAINBOWS: Tipps für Eltern

Ulrike Zartler (Hrsg.): Concept Cartoons. Methodische Grundlagen und Umsetzung in der Familienforschung. Beltz Juventa 2024

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer

Playlist

Komponist/Komponistin: Gabriel Faure
Titel: Nine Preludes, Op. 103_ IV. Prelude in F Major
Ausführende: Kathryin Stott
Länge: 01:39 min
Label: hyperion

Komponist/Komponistin: Gabriel Faure
Titel: Nine Preludes, Op. 103_ I. Prelude in D-Flat Major
Ausführende: Kathryin Stott
Länge: 03:43 min
Label: hyperion

Komponist/Komponistin: Gabriel Faure
Titel: Nine Preludes, Op. 103_ VII. Prelude in A Major
(davon 1 min. 21 sek. unterlegt)
Ausführende: Kathryin Stott
Länge: 02:51 min
Label: hyperion

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