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Gedanken für den Tag
Chesterton und der Agent Donnerstag
Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum 150. Geburtstag von Gilbert Keith Chesterton
1. Juni 2024, 06:57
"Auch der Fortschritt hat seine Heiligen und seine Märtyrer, seine eigenen Legenden und Wundergeschichten wie jede andere Religion, nur sind sie meistens falsch, wie die Religion, zu der sie gehören."
In einer Essaysammlung, die auf Deutsch unter dem Titel "Wenn ich nur eine einzige Predigt halten könnte" erschienen ist, geht der englische Schriftsteller und Denker Gilbert Keith Chesterton mit dem Fortschrittsglauben seiner Zeit hart ins Gericht. In derselben Schrift findet Chesterton auch harte und klare Worte über die Prinzipien kapitalistischer Wirtschaft: "Und liberale Wirtschaftsreform bedeutete oft nur, dass die Reichen die Freiheit erhielten, noch reicher zu werden, als sie es ohnehin schon waren, und den Armen großmütig erlaubt wurde, noch ärmer zu sein als vorher."
Der vor 150 Jahren geborene Chesterton war ein Zeitdiagnostiker, von dem man auch heute noch lernen kann. Schon 1931 polemisierte er gegen die Überzeugung, die neuen Kommunikationsmittel würden die Menschen in der ganzen Welt zusammenführen. Auch in seinen Romanen, Essays und Kurzgeschichten setzt er sich intensiv mit modernen Philosophien und Denkrichtungen auseinander - und besticht dabei durch seinen Stil, der das Paradox liebt.
Sein überraschendstes und luzidestes Werk ist für mich aber doch der Roman "Der Mann, der Donnerstag war". In diesem "Alptraum", so der Untertitel, tritt ein Geheimagent der Londoner Polizei der anarchistischen Weltverschwörung bei, und weil jedes Mitglied den Namen eines Wochentags trägt, wird er als "Donnerstag" in den anarchistischen Zentralrat gewählt. Aber nach und nach entdecken die Mitglieder, dass sie alle Polizeiagenten sind - außer dem Präsidenten, dem Riesen Sonntag. Sie wollen ihn fangen, doch er entwischt immer wieder. Chesterton hat nicht nur einen Agentenroman geschrieben, sondern treibt ein erkenntnisträchtiges Spiel mit Wahrnehmung und Wahrheit. Irgendwie mag ich ihn, diesen widersprüchlichen Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton.
Service
Gilbert Keith Chesterton, "Pater Brown. Die besten Geschichten", Anaconda Verlag 2024
"Pater Brown - Tod und Amen. Alle Fälle in einem Band", Kampa Verlag 2022
"Die besten Pater-Brown-Geschichten", Reclam Verlag 2021
"Der Mann, der zu viel wusste. Kriminalgeschichten", Manesse Verlag 2011
"Der Mann, der Donnerstag war", Hofenberg 2017
"Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen", Fe-Medienverlag 2011
"Verteidigung des Unsinns", Europäischer Literaturverlag 2012
"Hl. Franziskus von Assisi", Media Maria 2014
"Thomas von Aquin", Credo Medien 2023
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: David Arnold
Bearbeiter/Bearbeiterin: Ben Foster (Orchestr.)
Titel: Good Omens - Opening Titel
Orchester: Filmorchester
Chor: Crouch End Festival Chorus
CL: David Temple
Leitung: Ben Foster
Länge: 02:11 min
Label: Silva Screen Records