Zwischenruf

Über Kirche, Gesellschaft und Demokratie

von Thomas Hennefeld, Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Der Countdown läuft. Noch eine Woche bis zur EU-Wahl. Am 9. Juni ist es so weit. In der gesamten Europäischen Union, in 27 Ländern, sind Menschen aufgerufen, ein neues EU-Parlament zu wählen.

Auch kirchliche Organisationen haben im Vorfeld dazu Stellung genommen, darunter die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa - kurz GEKE genannt. Sie umfasst knapp 100 verschiedene protestantische Kirchen in Europa, nicht nur in der Europäischen Union. EU ist nicht gleich Europa, und dennoch ist es der GEKE wichtig, wie und welche Politik in der EU in Zukunft gemacht wird.

So heißt es in ihrer Stellungnahme: "Durch die Teilnahme an der Europawahl kann jede und jeder einzelne Verantwortung für ein demokratisches Europa übernehmen und damit Hoffnung verbreiten. Wir unterstützen Politikerinnen und Politiker sowie alle Menschen in der Zivilgesellschaft, die sich für die EU als Werte- und Solidargemeinschaft engagieren. Gemeinsam stehen wir für ein vielfältiges, nachhaltiges und soziales Europa ein."

Da höre ich wieder den Ruf: Kirchen sollen beim Glauben bleiben, sich nicht um die Politik, sondern um die Seelen ihrer Schäfchen kümmern. "Schuster, bleib bei deinen Leisten" wird von den Kirchen gefordert.

Und ich antworte: Das sind unsere Leisten und im Besonderen die Leisten der Protestantinnen und Protestanten. Die Reformatoren im 16. Jahrhundert haben alles darangesetzt, nicht nur die Kirche, sondern die ganze Gesellschaft zu erneuern. Der Genfer Reformator Johannes Calvin hat für Genf eine eigene Kirchenverfassung erarbeitet. Diese ging davon aus, dass jede Person ein Glied des Ganzen ist und daher eine verantwortliche Funktion für den Nächsten und für das ganze Gemeinwesen hat. Dieses Werk wurde von Weggefährten und Nachkommen auf das politische Feld übertragen und zum Modell für ein neues Zusammenwirken von Herrschaft und Bürgertum.

Calvin hat damit wichtige Impulse für die liberale Demokratie gesetzt, wie sie heute in weiten Teilen Europas existiert: Ein Herrschaftssystem mit starken Kontrollrechten, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit.

Aber nicht nur im Christentum, sondern in allen Religionen setzen sich Menschen für ein friedliches Zusammenleben ein. Das kommt auch in einem Aufruf der Plattform der Religionen zur EU-Wahl zur Geltung, zu der nahezu alle anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften gehören. Darin heißt es: "Das wichtigste Ziel der Europäischen Union ist es, Frieden zu schaffen und zu sichern. Friede ist in allen Religionen ein zentraler Wert. Wo wahrer Friede herrscht, da ist die Würde des Menschen gewahrt, da gelten die Menschenrechte und das Recht auf Religionsfreiheit."

Es war ein langer Weg von den Ursprüngen der ersten demokratischen Ansätze bis zur Umsetzung und Schaffung der liberalen Demokratie, wie wir sie heute kennen. Leider müssen diese Merkmale wieder in Erinnerung gerufen werden, weil sie zunehmend relativiert oder in Frage gestellt werden und einzelne Elemente nicht mehr so selbstverständlich sind, wie sie einmal waren.

Daher kann ich nur ermutigen, das Recht zu nutzen und wählen zu gehen. Am 9. Juni können sich die Wahlberechtigten unter anderem daran orientieren, wofür Kirchen in Österreich und in Europa stehen und wofür sie sich einsetzen. Menschenwürde und Minderheitenschutz gehören dazu. Beides ist ein Anliegen Gottes. Das geht aus der Bibel hervor und dient nach meinem Verständnis dem Wohl der Menschen. Sie haben die Wahl, in welche Richtung das EU-Schiff steuern soll. Es steht viel auf dem Spiel.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Karl Ratzer
Gesamttitel: SERENADE
Titel: Inversions
Solist/Solistin: Karl Ratzer /Gitarre
Länge: 05:44 min
Label: RST Records RST 91623-2

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