Die Wirksamkeit des Tagebuchs

17. Juli 2024, 06:57

"Ich werde das Tagebuch nicht mehr verlassen." notierte Franz Kafka, und weiter: "Hier muss ich mich festhalten, denn nur hier kann ich es."

Tagebuch schreibt niemand einfach so. Es ist ein Aufenthaltsort, an dem etwas geschehen kann, für das es keinen anderen Ort gibt. "Der Tagebuchschreiber ist jemand, /.../ der an die Wirksamkeit des Tagebuches glaubt.", schreibt Roland Barthes. Darum ist sich jedes dieser Journale auch selbst Thema. Die Erwartungen und Hoffnungen ans Tagebuch sind Erwartungen und Hoffnungen ans eigene Leben.

Der Akt des Schreibens ist geradezu ein Heimkommen zu sich selbst. Anne Franks jugendlicher Überschwang ist bei älteren Tagebuchschreibern meist gezähmt, und doch klingt oft durch, was sich bei ihr so anhört: "Ich kann die Stunde fast nicht abwarten, wenn ich Zeit habe, in dich zu schreiben." Was geschieht, wenn die Stunde gekommen ist, eröffnet sich als breitestes Spektrum von Bewältigung über Selbstkritik und Selbsterziehung zu Selbsterkenntnis. Kafka 1911: "Ein Vorteil des Tagebuchführens besteht darin, dass man sich mit beruhigender Klarheit der Wandlungen bewusst wird, denen man unaufhörlich unterliegt." Wie bin ich in der Welt und warum auf diese Weise? Das ist die große Frage, die auf die eine oder andere Art jedes Tagebuch stellt.

Bei Schriftsteller:innen geht das häufig nicht ganz ohne literarische Erwartungen. Und die richten sich nicht nur an sich selbst. Friedrich Hebbel beginnt, 22-jährig, das "Notenbuch meines Herzens" mit folgender Präambel: "Ich fange dieses Heft nicht allein meinem künftigen Biographen zu Gefallen an, obwohl ich bei meinen Aussichten auf Unsterblichkeit /.../" etc. etc.

Mein Herz erwärmt sich eher bei Anne Franks schriftstellerischer Zukunftshoffnung: "Und darum bin ich Gott dankbar, dass er mir /.../ eine Möglichkeit mitgegeben hat, mich zu entwickeln und zu schreiben."

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