ORF/JOSEPH SCHIMMER
Gedanken für den Tag
Ein gebundenes Tagebuch
Ingrid Pfeiffer, Germanistin, über das Verfassen und das Lesen von Tagebüchern.
20. Juli 2024, 06:57
"Diese braven Schulhefte", nannte Erika Mann die Tagebücher ihres Vaters Thomas. Tatsächlich waren es in Wachstuch oder Pappe gebundene Hefte mit 200 unlinierten Seiten in Schulheftformat. Beschrieben wurden sie meist mit Tinte in zügiger, aber gut lesbarer Schrift. Die Abendstunden waren üblicherweise die Zeit dieser Eintragungen.
Tagebuch zu schreiben folgt fast immer Ritualen. Diese betreffen etwa die bevorzugte Tageszeit oder die Art der Datierung. Diesbezüglich gibt es viele Varianten: von genauen Angaben inklusive Wochentag bis zu kargen Angaben der Monate oder gar nur der Jahre.
Die Materialität der Tagebücher ist wichtig, ja kaum weniger wichtig als der Inhalt. Für fast alle (mit der Hand) schreibenden Menschen ist die Wahl des Papiers und des Schreibgeräts entscheidend. Sie haben ebenso große Auswirkungen auf das Schriftbild wie die jeweilige Verfassung. Bücher waren es allerdings häufig nicht. Vielfach wurden lose Blätter verwendet. Hebbel notierte aufgeregt, nachdem er bereits 8 Jahre Tagebuch schrieb: "Ein gebundenes Tagebuch! Vierundzwanzig Bogen auf einmal!" Bis dahin hatte er die einzelnen Blätter selbst geheftet.
Wir Leserinnen und Leser bekommen durch die Editionen in Buchform eine Abgeschlossenheit suggeriert, die der Art dieser schriftlichen Aufzeichnungen eigentlich widerspricht. Und weil wir uns von all der oben beschriebenen Materialität der Originale keinen Eindruck verschaffen können, lesen wir vereinheitlichte und neutralisierte Versionen.
Zurück zu Thomas Mann, der sich - wie auch andere berühmte Autoren - des Interesses an seinen insgesamt 36 Heften mit mehr als 6000 Seiten bewusst war, die heute in einer 10-bändigen Edition vorliegen. Er verschnürte und versiegelte sie in Paketen mit dem Vermerk: "Tägliche Aufzeichnungen /.../ ohne literarischen Wert. Von niemandem zu öffnen vor 20 Jahre nach meinem Tod."
Service
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Sergey Yevtushenko
Gesamttitel: THE LAST STATION/ Original Motion Picture Soundtrack
Anderssprachiger Titel: EIN RUSSISCHER SOMMER
Titel: Romanze/ a.d.Film "The Last Station"
Orchester: The Hermitage Music Academy Orchestra
Leitung: Anatoly Rybalko
Ausführender/Ausführende: Sergey Yevtushenko
Länge: 01:51 min
Label: Varese Sarabande VSD 6998