Erich Kästner und das offene Wort

24. Juli 2024, 06:57

Erich Kästners Kinderbücher haben die Kinderliteratur nachhaltig verändert. Ihr erster Verdienst liegt darin, den Kindern das Heft, das man ihnen in der Literatur so gut wie nie anvertrauen wollte, in die Hand zu geben. Kästners Kinder sind Handelnde, sie kommen in der Erwachsenenwelt gut zurecht und nehmen sogar Einfluss auf sie.

So bringen die Zwillinge beispielsweise in "Das doppelte Lottchen" durch List und konsequentes Handeln ihre voneinander getrennten Eltern wieder zusammen. Auch im "Fliegenden Klassenzimmer" vereinen die Kinder ihren verehrten Lehrer Bökh und seinen alten, verloren geglaubten Freund wieder miteinander. Und in "Emil und die Detektive" sind sie imstande, einen echten Dieb zu überführen. Darüber hinaus wird ihnen eine rotzoffene, unglaublich direkte Sprache zugestanden.

Denken wir nur an Pünktchen, wie sie sich für ihren Freund Anton bei seinem Lehrer einsetzt, weil Antons Schulleistungen durch seine Müdigkeit so stark abgenommen haben. Dass er nachts für seine Mutter Schnürsenkel verkauft, hat er in der Schule nie verraten: "Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass sich der arme Junge Tag und Nacht abrackert. Er hat seine Mutter gern, und da schuftet er und kocht und verdient Geld und bezahlt das Essen und bezahlt die Miete, und wenn er sich die Haare schneiden lässt, bezahlt er's ratenweise. Und es wundert mich überhaupt, dass er nicht während Ihres ganzen Unterrichts schläft." Und Pünktchen fährt fort: "Und da setzten Sie sich hin und schreiben seiner Mutter einen Brief, dass er faul wäre, der Junge! Da hört sich doch Verschiedenes auf."

Pünktchens flammendes Plädoyer öffnet dem Lehrer die Augen. Darin liegt über die Zeiten hinweg eine gewaltige Ermutigung. Eine zum Handeln und eine zum offenen und selbstbewussten Gebrauch der eigenen Worte. Auch deshalb sind Erich Kästners Bücher wohl immer noch so brauchbar.

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