Erich Kästner und die sozialen Gegensätze

25. Juli 2024, 06:57

Neben der Begeisterung der Menschen füreinander und der Schilderung menschlicher Stärken und Tugenden, interessiert sich Erich Kästner nicht zuletzt für soziale Gegensätze und Milieus und hebt besonders die Würde der Armen wie beispielsweise in "Pünktchen und Anton" hervor. Kästner führt die verschiedenen Milieus und Lebenswelten so nahe aneinander, bis es zu einem versöhnlichen Ausgleich kommt.

In "Das doppelte Lottchen" entdecken Lotte und Luise das Milieu ihres jeweils anderen Elternteils, den sie nicht kannten, weil sie als Kinder von ihm getrennt wurden. Am Ende wird die Welt der hart arbeitenden, alleinerziehenden Mutter und des beruflich souveränen, gutgestellten Künstlervaters zugunsten einer traditionellen Familie wieder vereint. In "Pünktchen und Anton" besteht die Aussöhnung darin, dass am Ende des Romans Antons Mutter als neues Kindermädchen in die wohlhabende Familie der reichen Pogges aufgenommen wird.

Vielleicht sind die Bücher Erich Kästners nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil sie die Wunschvorstellung, es könnten sich die sozialen Gegensätze in konfliktfreies Wohlgefallen auflösen, so plastisch erzählen? Freilich darf dabei die Kehrseite seiner Erzählkonstruktionen sozialen Glücks nicht unterschlagen werden. Sie besteht darin, dass den moralischen Heldinnen der Bücher stets negative Charaktere gegenübergestellt werden. Diese, wie beispielsweise der Dieb in "Emil und die Detektive" oder Pünktchens emotional unterkühlte, selbstbezogene Mutter, bekommen keinerlei Spielraum zur Entwicklung zugestanden.

Gerade die Frauenrollen nehmen sich heute mehr als stereotyp und konservativ aus. Die hingebungsvoll arbeitssamen Frauen stehen den Herzlosen holzschnitthaft gegenüber. Erst indem sie sich in die scheinbar vorgegebenen Rollen fügen, steht ihnen eine wohl nicht unzweifelhafte Versöhnung offen.

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