James Baldwin

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Gedanken für den Tag

Die größte Lebensgefahr: der eigene Hass

Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", zum 100. Geburtstag von James Baldwin

Die Jahre, in denen der 1924 geborene Schriftsteller James Baldwin in Harlem aufwächst, sind geprägt von willkürlicher Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen - und von zunehmender Wut gegen die sogenannte "Rassentrennung". 1943 kommt es zu Unruhen in Harlem, Geschäfte von Weißen werden zerstört und geplündert.

"Nichts von alledem kam irgendwem zugute. Es wäre besser gewesen, die Schaufenster heil und die Waren in den Geschäften zu lassen", schreibt Baldwin und setzt hinzu: "Es wäre besser gewesen, aber auch unerträglich, denn Harlem musste etwas zerschlagen." Damit benennt er ein Phänomen, das immer noch gültig ist. Denn das Gefährlichste, "was eine Gesellschaft hervorbringen kann", ist "ein Mensch, der nichts mehr zu verlieren hat."

Welchen Weg die erfahrenen Demütigungen und Verletzungen in ihm selber einschlagen könnten, erfährt er am eigenen Leib. Er erzählt von einem Ereignis, bei dem ihm bewusst wurde, dass man ihn aufgrund seines Verhaltens nicht nur "hätte umbringen können", sondern vor allem auch, dass er selbst bereit gewesen wäre, "einen Mord zu begehen", und zwar aus Hass. "Ich sah nicht sehr klar, das allerdings sah ich: dass mein Leben, mein Leben in Gefahr war, und zwar nicht durch etwas, das man mir antun könnte, sondern durch den Hass in meinem Herzen."

Der Hass, das weiß Baldwin, zerstört auch den, der hasst. Wie also ohne Hass leben, aber dennoch gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit vorgehen, die die Schwarzen Mitmenschen oft das Leben kostet? James Baldwin versucht zeitlebens einen Weg jenseits des Hasses: einen Weg, der nicht einfach die Macht- und Gewaltverhältnisse umdreht, sondern einen Weg, der an das Gemeinsame appelliert.

1953 schreibt er: "Es ist an der Zeit zu erkennen, dass das Drama, das sich auf dem amerikanischen Kontinent zwischen Schwarzen und Weißen abspielt, nicht nur einen neuen Schwarzen, sondern auch einen neuen Weißen hervorgebracht hat. (.) Die gemeinsame Erfahrung von Schwarzen und Weißen könnte sich für unsere heutige Welt als unverzichtbar erweisen. Diese Welt ist nicht mehr weiß, und sie wird nie wieder weiß sein."

Service

James Baldwin, "Nach der Flut das Feuer". "The Fire Next Time", dtv 2019 ("The Fire Next Time", 1963)
James Baldwin, "Von einem Sohn dieses Landes". "Notes of a Native Son". Essays, dtv 2022 ("Notes of a Native Son", 1955)
René Aguigah, "James Baldwin. Der Zeuge. Ein Porträt", C.H. Beck 2024
"I Am Not Your Negro". Ein Film von Raoul Peck. Nach einem Text von James Baldwin. 2016

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Tyler Okonma
Titel: A BOY IS A GUN
Album: IGOR
Ausführende: Tyler, The Creator
Länge: 03:30 min
Label: Columbia ISRC: USQX91901116 Sony Music UPC Code: 886447710180 Grid Code: G010004091543B

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