Der abgeschnittene Körper

14. August 2024, 06:57

Kaum jemand hat einen solch kritischen Blick auf die Mariologie geworfen wie die argentinisch-britische Theologin Marcella Althaus-Reid. Ihre Kritik setzt vor allem bei der Jungfräulichkeit Mariens an, wie sie das christliche Dogma festhält. Das unzerstörte Jungfernhäutchen trennt, so Althaus-Reid, Maria von ihrem Körper und von ihrer Sexualität. In der Folge rücken das Körperliche und die Sexualität in den Bereich des Verbotenen, über das nicht gesprochen wird und das eigens gerechtfertigt werden muss: durch die Ehe und die Fortpflanzung. Die Jungfrau Maria stützt so die katholische Sexualmoral, in der alle nichteheliche Sexualität dem Bereich der Sünde zugerechnet wird.

Insbesondere für die Realität marginalisierter Frauen im christlich geprägten Lateinamerika hat dies prekäre Folgen. "Arme Frauen", so schreibt Althaus-Reid, "sind selten jungfräulich, denn die Armut in Lateinamerika bedeutet ein dichtes Gedränge von Gewalt und Promiskuität, in dem Mädchen vor der Pubertät vergewaltigt oder als Jugendliche verheiratet werden." Es gibt Prostitution, sexuelle Hörigkeit. Frauen werden schwanger, bevor sie wissen, was ihre eigene Sexualität ist. Bevor sie wissen, dass Lust erfüllend sein kann.

Wenn Sex außerhalb der Ehe Sünde ist, so liegt über all dem der Mantel des Schweigens und begünstigt so Gewalt und Marginalisierung. Verschwiegen wird aber auch, dass nicht alle Menschen und nicht jede Beziehung in das Gegenüber von Mann und Frau passt: Männer lieben andere Männer, Frauen lieben andere Frauen, und Menschen leben queer zu den Geschlechtern.

Althaus-Reid geht es darum, auch theologisch die Vielschichtigkeit des Lebens nicht auszublenden, sondern sie wahrzunehmen. Es ist an der Zeit, Maria ihre Sexualität zurückzugeben.

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