Dominik Barta - ZSOLNAY/LEONHARD HILZENSAUER
Gedanken für den Tag
Nähe und Nachbarschaft
von Dominik Barta, Schriftsteller
28. August 2024, 06:57
Laut der amerikanischen Philosophin Nancy Rosenblum wird der richtige Umgang mit unseren Nachbarn durch das einfache Motto "Leben und Leben-Lassen" beschrieben.
Das hilft, allzu akademische Handlungsanleitungen fahren zu lassen: Es ist nicht notwendig, die Ursprünge des Nachbarn bis in die Urgroßeltern-Generation zu kennen. Es ist nicht notwendig, den Nachbarn bis in seine intimsten Anschauungen hineinzuverstehen und schon gar nicht ist es notwendig, den Nachbarn in all seinen Urteilen zu bestätigen. Es reicht, mit ihm oder ihr irgendwie auszukommen.
Bei der alltäglichen Praxis, die Nähe des anderen auszuhalten, kann uns ein interessanter psychologischer Mechanismus helfen. 2006 publizierten amerikanische Psychologen eine Studie, in der sie aufzeigten, dass zufällige räumliche Nähe oder Sitznachbarschaft unter Studierenden am besten dazu beiträgt, eine eventuell längere Freundschaft miteinander einzugehen. Der deutsche Essayist Daniel Schreiber zitiert diese Studie in seinem Buch "Allein" und resümiert: "Wenn die Studierenden in der Vorlesung in einer Reihe saßen, steigerte das die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich anfreundeten, enorm. Beim Schließen von Freundschaften schlug zufällige körperliche Nähe alle anderen Trümpfe."
Ich kenne diesen Mechanismus vom Zugfahren. Zunächst ist mir die Person, die sich im Zug ausgerechnet neben mich setzt, immer unsympathisch. Ich kreide es ihr an, dass sie mir so nahe rückt. Doch dauert die Zugfahrt einige Stunden, ändert sich fast immer meine Wahrnehmung. Meistens gilt: Je länger wir uns die Sitzbank teilen, desto sympathischer wird mir mein Sitznachbar oder meine Sitznachbarin. Kurz vorm Aussteigen ist das Eis meistens gebrochen, man plaudert und gibt sich von seiner besten Seite. Es ist einfach so: Das schiere Nebeneinandersitzen bringt einander näher.
Service
Dominik Barta, "Vom Land", Verlag Zsolnay 2020
Dominik Barta, "Tür an Tür", Verlag Zsolnay 2022
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Astor Piazzolla 1921 - 1992
Album: ASTOR PIAZZOLLA'S BEST TANGOS
Titel: Verano Porteno (Sommer in Buenos Aires) - Tango
Solist/Solistin: Aquiles Delle Vigne
Länge: 05:42 min
Label: Discover International DICD 920139 / Koch