Mythos, Maß, Mogelpackung? - Diagonal sucht: Die Mitte

21. September 2024, 17:05

Sie ist ein Punkt zwischen A und B. In ihr liegt "die Kraft". In "Gefahr und grosser Noth" warnt ein vielzitiertes Wort vor ihrem Weg. Es gibt sie auf der ganzen Welt im Plural. Jules Verne und Dante Alighieri waren dort. Sie ist der Bauch der Bolte-Zwiebel, der erste Stock des Dahrendorfhäuschens. Ihrer Vermessung widmen sich ganze Fachschaften. Doch ihr Begriff ist vage, ihre Definition der Willkür verdächtig. Sie ist "irgendwo zwischen Oben und Unten". In Gretchenfragen gibt es sie nicht.

Mal ist sie "Stand", mal "Klasse", mal "Schicht". Mal "Herz", mal "Nabel", mal "Reich", "Achse, "Seismograph" oder "trojanisches Pferd". Sie ist die Karotte vor der Nase der Einen, die Schutzbehauptung der Anderen. Sie ist das Zentrum, nicht die Peripherie. In ihr leben Hiesige, nicht Dasige. Sie "bewohnt das Innen, nicht das Außen". Aber zu bestimmen, ist sie nur über ihre Grenzen, Ränder und Ausschlüsse hinweg. Das ist ihr grundlegender Makel.

In Forschung und Feuilleton macht sie paradoxe Figur: Die Mehrheit will dazugehören, gleichzeitig soll sie "schrumpfen". Sie ist "Kampfzone" und "Komfortbereich". Sie ist das gute "Maß", aber niemand will sie als "Mäßigkeit". Sie figuriert als "ein Ort der Sicherheit und der Beständigkeit", dem mal "Erosion", mal "Extremismus", mal "Angst", "Verdruss" oder "große Panik" attestiert wird. "Erstaunlich stabil und widerstandsfähig", ist sie wahlweise "gefährdet", "erschöpft", "gebeutelt", "enthemmt".

Gerne führt man sie im Munde, um nicht zu sagen, was oder wen man meint. Alles und Alle scheinen "aus" oder "in" und jedenfalls immer "für" sie zu sein. In Wahlkampfzeiten hat sie Hochkonjunktur. Mit ihr wird Politik gemacht. "Entlasten, fördern, schützen und unterstützen", lautet das Credo, denn "Demokratie und Gesellschaft" stünden und fielen mit ihr. Ist sie tatsächlich "wesentlicher als das Ganze, dessen Teil sie doch ist"? Diagonal sucht: Die Mitte.

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Sendereihe

• Diagonal

Gestaltung

• Roman Tschiedl