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Punkt eins
Deutschland macht dicht(er) oder: immer Streit um Grenzen
Grenzziehungen, Grenzpolitiken und Ab-Grenzungs-Strategien in Europa und darüber hinaus. Gäste: Prof. Dr. Hannes Krämer, Universität Duisburg-Essen & PD Dr. Frank Wolff, Willy-Brandt-Stiftung, Berlin. Moderation: Xaver Forthuber. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
24. September 2024, 13:00
Ein Mord, für den ein ausländischer Staatsbürger hauptverdächtig ist; zwei Landtagswahlen, bei denen der rechte Rand massiv gestärkt wurde. So fasst die "Deutsche Welle" zusammen, warum Deutschlands sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser eine weitere Verschärfung der Grenzkontrollen angekündigt hat.
Seit einer Woche wird an allen deutschen Grenzen - trotz Schengen - stationär kontrolliert. Im Osten und Süden - also auch an der Grenze zu Österreich - geschieht das schon länger. Kritik an der Ausweitung kommt jetzt auch von deutschen Ökonom:innen: Die "Verzögerungen im innereuropäischen Verkehr" hätten zu teureren Waren, gestörten Lieferketten, zu Einschränkungen für Grenzpendler:innen und für den Tourismus geführt. Das Handelsvolumen sowie die Wettbewerbsfähigkeit würden empfindlich verringert.
Das Verhältnis zu den Nachbarländern sei nicht belastet, wie die deutsche Regierung im Vorfeld mehrfach betonte. Österreichs Innenminister Gerald Karner erklärte dennoch, "keine Personen entgegennehmen" zu wollen, "die aus Deutschland zurückgewiesen werden". Gleichzeitig plädiert der wahlkämpfende ÖVP-Politiker seinerseits für weitere Verschärfungen bei der Migration, und im Schengen-Streit mit Rumänien und Bulgarien zeigt die österreichische Regierung sich weiter unnachgiebig.
Auch Deutschland argumentiert mit dem "Schutz seiner inneren Sicherheit" gegen allzu offene Grenzen - und wird dafür wiederum von Griechenland kritisiert: mit der einseitigen de-facto "Abschaffung" des grenzkontrollfreien Raumes würden Probleme nur "an die Länder mit europäischen Außengrenzen weitergereicht" werden.
Entgegen mancher Erwartung sind die Grenzen dieser Welt im Zeitalter der Globalisierung nicht einfach offener und durchlässiger geworden - im Gegenteil wurden sie, so ein Standardwerk, zu "machtvollen Sortiermaschinen" ausgebaut. Die grenzenlose Mobilität bleibt ein Privileg der Wenigen, die große Mehrheit steht im "Außen" vor immer stärker fortifizierten Zäunen und Mauern.
Grenzkontrollen, Grenzschließungen, Grenzüberwachung dienen nach wie vor als politische Antwort auf reale oder wahrgenommene Bedrohungen und Missstände. Und definieren sich Gemeinschaften nicht letztlich über ihre Grenzen? Kann man Staaten ohne Grenzen denken und Grenzen, ohne sie zu kontrollieren und administrieren?
Die Erwartungen, Zuschreibungen und Debatten, was Grenzen sind, tun und tun sollten, sind in jedem Fall hochgradig aufgeladen. Aus der "grenzen-losen" Zukunft ist bislang nichts geworden. Aber dadurch hat sich auch die Grenzforschung, die "Border Studies", zu einem vieldiskutierten, produktiven und vor allem auch interdisziplinären Forschungsgebiet entwickelt.
Hannes Krämer ist Professor für Institutionelle Kommunikation an der Universität Duisburg-Essen; er leitete zuletzt die Forschungsgruppe "Border and Boundary Studies" am deutschen Center B/ORDERS IN MOTION und hat ein Handbuch der Grenzforschung mit herausgegeben. In Berlin beschäftigt sich der Historiker Frank Wolff mit Grenzen und Migration in der europäischen Geschichte und Gegenwart; unter anderem ist er Mitautor des Buches "Hinter Mauern: Geschlossene Grenzen als Gefahr für die offene Gesellschaft".
Diskutieren Sie mit Xaver Forthuber und seinen Gästen über Grenzen in Theorie und gelebter Praxis, Erwartungen an und Funktionen von Grenzen, und berichten Sie uns von Ihren Grenz-Erfahrungen: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at
Sendereihe
Gestaltung
- Xaver Forthuber
Playlist
Komponist/Komponistin: Maya Arulpragasam
Komponist/Komponistin: Amish Patel
Komponist/Komponistin: Levi Lennox
Album: AIM
Titel: Borders
Solist/Solistin: M.I.A. /Gesang m.Begl.
Länge: 04:11 min
Label: Interscope/Universal 5711180
Untertitel: Mamadou Ba
Titel: No Borders
Ausführende: Malika Zarra
Länge: 03:37 min
Label: Motéma Music MTM 60