Zwischenruf

Hohe Feiertage im Schatten der Gewalt

von Claudia Prutscher, Vizepräsidentin der israelitischen Kultusgemeinde Wien

Wieder ist ein jüdisches Jahr zu Ende gegangen und wir haben vor kurzem das Jahr 5785 begonnen. Jedes Jahr bieten die Hohen Feiertage zwischen dem Jahreswechsel Rosch ha-Schana und dem Versöhnungstag Jom Kippur die Gelegenheit innezuhalten, das vergangene Jahr zu überdenken und mit erneuter Hoffnung in die Zukunft zu blicken.

Doch in diesem Jahr fühlt sich alles anders an. Der entsetzliche Terrorüberfall am 7. Oktober 2023 mit den unvorstellbaren Folgen für die Bevölkerung Israels, wie auch für die jüdischen Menschen weltweit werfen einen Schatten auf diese, sonst so feierlichen Tage. In meinen Gedanken versuche ich nachzuspüren, wie sich diese uralten Traditionen inmitten einer so schwierigen und traurigen Zeit anfühlen. Was bedeutet es, das neue Jahr in einem Umfeld zu begrüßen, das von Konflikten und Sorgen geprägt ist?

Rosch ha-Schana, das jüdische Neujahr, markiert den Beginn der "Zehn Tage der Reue". Es ist eine Zeit, in der wir uns selbst prüfen, unsere Handlungen reflektieren und uns auf das kommende Jahr vorbereiten. Für mich war das immer ein Moment, um Bilanz zu ziehen und meine Beziehung zu mir selbst, zu anderen und zu G'tt zu hinterfragen. Die Gebete zu Rosch ha-Schana und Jom Kippur haben in diesem Jahr eine besondere drängende Bedeutung. Im Mussafgebet steht "G'tt tut Gutes den Bösen und den Guten" Wieso ist G'tt den "Bösen" gegenüber barmherzig? Nach einer Erklärung sind mit den "Bösen" diejenigen gemeint, die zwar Böses tun, aber gut sein wollen. Weswegen G'tt auch mit diesen Erbarmen hat.

Wenn wir die alten Worte sprechen, die um Frieden und Schutz bitten, spüre ich eine tiefe Verbindung zu meinen Vorfahren und eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auch wenn die Umstände schwierig sind. Für Jüdinnen und Juden ist in diesen Tagen wichtig zu wissen, dass jeder Jude, jede Jüdin große Kräfte von den Vorfahren hat. Ich meine: Diese gilt es zu kennen und dafür zu benutzen, auf den richtigen Weg zu kommen. Ktiwa wechatima tova - mit dem Segen für ein gutes und süßes Jahr.

Jom Kippur schließt dann, zehn Tage nach dem Jahreswechsel, diese Heilige Zeit ab und fordert dazu auf, unsere Verfehlungen zu bereuen und Vergebung zu suchen. Das ist der Tag, an dem Jüdinnen und Juden vor G'tt treten und um ein erneuertes, gereinigtes Selbst bitten. Dieser Prozess der inneren Reinigung hat für mich immer eine besondere Bedeutung gehabt, ein Gefühl der Erleichterung und Hoffnung auf einen neuen Anfang.

In der aktuellen Situation, wo der Staat Israel mit so vielen Herausforderungen konfrontiert ist und Jüdinnen und Juden weltweit einen besorgniserregenden Anstieg des Antisemitismus feststellen müssen, hat diese Zeit für mich eine noch tiefere Bedeutung bekommen und meinen Zusammenhalt mit der jüdischen Gemeinschaft weltweit gestärkt. Die Rituale und Gebete erscheinen mir schwerer, drängender, als würden sie das Gewicht der Welt tragen. Auch in dieser Situation möchte ich mir nicht die Hoffnung nehmen lassen, dass das kommende Jahr Lösungen und Einigkeit bringt. Mit diesem Gedanken im Herzen wünsche ich Schana Tova - ein gutes neues Jahr!

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Niccolo Paganini
Album: DUOS FÜR VIOLINE UND GITARRE - ITZHAK PERLMAN & JOHN WILLIAMS
Titel: Sonate für Violine und Gitarre op.3 Nr.6 in e-moll
Solist/Solistin: Itzhak Perlman /Violine
Solist/Solistin: John Williams /Gitarre
Länge: 03:44 min
Label: CBS MK 34508

Komponist/Komponistin: Niccolo Paganini
Album: DUOS FÜR VIOLINE UND GITARRE - ITZHAK PERLMAN & JOHN WILLIAMS
Titel: Cantabile für Violine und Gitarre
Solist/Solistin: Itzhak Perlman /Violine
Solist/Solistin: John Williams /Gitarre
Länge: 03:39 min
Label: CBS MK 34508

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