Zwischenruf

Welttag der psychischen Gesundheit

von David Weiss, Kulturanthropologe und ehrenamtlicher Seelsorger der evangelischen Kirche

Es ist zum Verrücktwerden! Ein Ausruf, der mehr ist als bloßer Kommentar. Er ist Hilferuf in auswegloser Lage, die so sehr vom bisher Gewohnten abweicht, dass sie wahnsinnig macht. Immer mehr Menschen in Österreich haben das Gefühl, in so einem Treibsandloch festzustecken.

25 - 30 Prozent der Bevölkerung leiden laut der Statistik des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie im Laufe ihres Lebens unter psychischen Erkrankungen. Der Anteil der Jugend steigt. Trotzdem ist die medizinische Versorgung ausbaufähig und das Thema tabuisiert. Das ist ein weltweites Phänomen, und die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, hat am 10. Oktober den World Mental Health Day gestiftet, 2024 unter dem Motto: Mental Health at Work, geistige Gesundheit bei der Arbeit.

Das Leben in den Konsumgesellschaften wird als kompliziert wahrgenommen. Viele fühlen sich im Alltag an den "Passierschein A38" und an das "Haus, das Verrückte macht" erinnert, die im Film "Asterix erobert Rom" gezeigt werden. Da führt die Lösung einer "Formalität verwaltungstechnischer Art" zum Zusammenbruch der Zivilisation.

Die theoretische Erleichterung durch Digitalisierung findet gefühlt nicht statt. Sie bedeutet im Alltag viel zu oft eine Vervielfachung des Zeit- und Arbeitsaufwands. Computerabstürze, gehackte Systeme, Programme, die aus mehr oder weniger verständlichen Gründen nicht funktionieren, das Hängen in Warteschleifen, die Kommunikation mit KI statt mit Menschen. Es ist zum Verrücktwerden! Aber hier geht es nicht um Römer, die in Tröten blasen und Purzelbäume schlagen wie bei Asterix, sondern um echte Pathologien.

Ich bemühe mich unter diesen Umständen, angesichts diverser Krisen, nach Kräften, alle meine Tassen im Schrank zu behalten. Es hilft, den Blick vom Bildschirm auf das Leben um mich herum zu heben. Ich rede regelmäßig mit einer klinischen Psychologin. Probleme an- und auszusprechen hilft, und ich kann es nur jeder und jedem empfehlen.

Religionen versprechen den Ausgleich des Leids und die Belohnung rechten Sinns und guter Werke, oft im Jenseits, die Philosophie im Diesseits. Aber daran glaubt kaum jemand mehr. Als valider Maßstab für Wertschätzung und Leistung gelten Kontostand und Gehalt. Pflege, Medizin und Einsatzkräfte sind allzu oft unterbezahlt oder im Ehrenamt tätig. Ohne diese Menschen kollabiert das System. Das Danke der Politik bezahlt ihre Miete nicht. Aber mir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ich sie mit dem Respekt behandle, den sie verdienen.

Authentizität dient gerne als Ausrede dafür, sich egoistisch und asozial zu verhalten. Höflichkeit wird dagegen oft als Heuchelei diffamiert. Aufrichtig gemeint, oder nicht, ist mir ehrlich gesagt völlig egal. Wie schnell ändert sich die Stimmung ins Positive, wenn ich meine Mitmenschen freundlich ansehe, begrüße und Bitte und Danke sage, gelegentlich Platz mache und hilfreich zur Hand gehe. Es kostet mich oft nicht mehr als ein Lächeln, mich respektvoll und zivilisiert zu verhalten, aber wie viel Lebensqualität ist damit für mich und alle Beteiligten gewonnen. Das mag wenig erscheinen - aber auch viele kleine Schritte können am Ende ans Ziel führen.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jean-Michel Jarre
Titel: Don't look back (movement 9)
DB: EQUINOXE INFINITY
Solist/Solistin: Jean-Michel Jarre
Länge: 03:35 min
Label: Sony 0190758764429

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