PICTUREDESK.COM/AFP/ANWAR AMRO
Punkt eins
Krieg und Gewalt in der Menschheitsgeschichte
Warum es keinen Grund geben sollte, uns vor uns selbst zu fürchten. Gäste: Dr. Harald Meller, Archäologe & Prof. Dr. Carel van Schaik, Verhaltensforscher, Evolutionsbiologe. Moderation: Andreas Obrecht. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
25. Oktober 2024, 13:00
Der Krieg ist zurück in Europa - und bedroht uns alle. Derzeit werden weltweit rund dreißig kriegerisch ausgetragene Konflikte gezählt. Getötet wird im Namen der territorialen Integrität, der Macht, des Geldes, der Ehre, der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Vergeltung, der Beute, der Prävention, der Nation, des Imperiums, der Tradition, der territorialen Expansion, der zivilisatorischen und technologischen Überlegenheit, der Götter und des Gottes etc.
Gewalt gegen menschliche Artgenossen bedarf einer "moralischen" oder ideologischen Legitimation, denn es ist keinesfalls selbstverständlich - und schon gar nicht liegt es "in der Natur" des Menschen - einander umzubringen. Der Beweis hierfür wird in dem Buch "Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen" erbracht, das von dem Archäologen Harald Meller, dem Historiker Kai Michel und dem Evolutionsbiologen Carel van Schaik verfasst wurde, die folgendes schreiben: 99% der Menschheitsgeschichte sind friedlich und kooperativ verlaufen, die Bereitschaft, Artgenossen zu töten, ist - anders als oftmals behauptet - nicht genetisch codiert. Krieg ist kulturell bedingt, wir - oder besser die Männer - erlernen den Krieg, der seit einigen Jahrtausenden zu einem scheinbaren Wesenszug des Menschen avanciert ist und mittlerweile die ganze Spezies bedroht.
Krieg, so die Autoren, ist eine Folge der Sesshaftwerdung der Menschen im Neolithikum und der Entstehung von patriarchalen Strukturen, die aufgrund von Bevorratung, Überproduktion, Viehhaltung, territorialer Inbesitznahme die Akkumulation von Macht begünstigen. Zentralisierung und patriarchale Herrschaftsformen führen zu jenen verheerenden Kriegen, die in der Geschichte zur Verwüstung halber Kontinente beigetragen haben und bis heute nicht zum Stillstand gekommen sind.
Dass dem keineswegs so sein muss, dass wir keinen Grund haben sollten, uns vor uns selbst zu fürchten, veranschaulichen die drei Autoren in zwölf Lektionen am Ende ihres monumentalen Werkes: Sie kommen zu dem Schluss, dass Menschen grundsätzlich Frieden wollen und dass es immer nur wenige sind, die andere zum Krieg zwingen oder verführen, dass Kooperation zwischen Menschen und Staaten immer mehr Vorteile bringt als das Einsetzen von Gewalt, dass das Führen von Kriegen die Folge einer Lebensweise ist, die sich grundsätzlich an anderen bereichern will, dass es weder nationale noch religiöse Verpflichtungen geben kann, andere Artgenossen zu töten, dass präventive Verteidigung immer Angriff und deshalb inakzeptabel ist, dass die ungleiche Verteilung innerhalb von Gesellschaften und auch auf globaler Ebene Gewalt jedenfalls fördert und dass Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit Voraussetzung für den Abbau jener martialischen Männlichkeit sind, die Krieg und Gewalt jedenfalls begünstigt.
Harald Meller und Carel van Schaik sind Gäste bei Andreas Obrecht und Sie, unsere Hörerinnen und Hörer, wie immer herzlich eingeladen, sich an der Diskussion zu beteiligen:
Wie tief ist der Krieg in die Natur des Menschen eingeschrieben - in die biologische, in die kulturelle? Wie immer freut sich die Punkt eins Redaktion über rege Teilnahme an dem Gespräch unter 0800 22 69 79 während der Sendung oder unter punkteins(at)orf.at
Service
Buch:
Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik (2024): Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte. Dtv Verlagsgesellschaft, München.
Sendereihe
Gestaltung
- Andreas Obrecht
Playlist
Urheber/Urheberin: Heinrich Schütz
Titel: Da pacem Domine, SWV 465; zT unterlegt
Ausführender/Ausführende: Johann Rosenmüller Ensemble & Arno Paduch
Länge: 06:08 min
Label: Christophorus
Urheber/Urheberin: Johann Hildebrand
Titel: Krieges-Angst-Seufzer: Ach Gott! Wir haben's nicht gewusst, was Krieg für eine Plage ist 3:54
zT unterlegt
Ausführender/Ausführende: Johann Rosenmüller Ensemble & Arno Paduch J
Länge: 03:54 min
Label: Christophorus
Urheber/Urheberin: Samuel Scheidt
Titel: Suite No. 7: I. Paduane; zT unterlegt
Ausführender/Ausführende: Bläserkreis Bochum & Karl-Heinz Saretzki
Länge: 03:10 min
Label: Nomad Label