Zwischenruf

"Völkersterben?! - Nein, wir leben!"

von P. Franz Helm, Rektor im Missionshaus St. Gabriel der Steyler Missionare

Früher hatten wir im Missionshaus St. Gabriel ein Museum. Als junger Seminarist konnte ich am wenigsten mit den Gegenständen aus Feuerland anfangen. Pater Martin Gusinde hatte sie an der Südspitze Südamerikas gesammelt: Felle, Knochen, Pfeilspitzen, Modelle von Booten und Hütten und geflochtene Körbe. Es gab auch Schwarz-Weiß-Fotos von Angehörigen der Feuerlandvölker. Diese seien ausgestorben, hieß es. Aber Gusinde habe die Kulturen dieser Völker vor ihrem Aussterben schnell noch erforscht und dokumentiert.

Mittlerweile ist unser Museum geschlossen. Die Sammlung von Tausenden ethnografischen Objekten aus aller Welt ist in einem Depot verwahrt. Erstaunlicherweise kamen während der letzten Jahre vermehrt Anfragen zu den Objekten aus Feuerland. Zwei Wissenschaftlerinnen aus Argentinien tauchten auf. Sie kannten das Werk von Pater Martin Gusinde in- und auswendig. Drei Tage lang waren sie bei uns im Depot. Mit großer Begeisterung digitalisierten und katalogisierten sie die Feuerland-Objekte. Eine der Besucherinnen kniete später auf dem Grab von Martin Gusinde, streichelte den Boden und brach in Tränen aus.

Eine Aktivistin der Selk'nam von einem dieser angeblich ausgestorbenen Völker kam zu Besuch. Die junge Chilenin wirkte mit bei der Sonderausstellung "Extinctions!?" im Weltmuseum in Wien. Sie war auf der Suche nach Spuren ihrer Vorfahren und fand sie bei uns im Museumsdepot. Und ein Ehepaar kam, auch aus Chile. Sie engagieren sich dort in der "Stiftung Martin Gusinde" für eine Erinnerungskultur an die Völker in Feuerland, die Selk'nam, Yagan und Kawésqar. Martin Gusinde ist für sie ein Vorbild für den wertschätzenden Umgang und die Solidarität mit indigenen Völkern.

Heuer sind es genau 100 Jahre, dass Pater Martin Gusinde die Expeditionen nach Feuerland gemacht hat. Aus diesem Anlass haben wir in St. Gabriel eine Sonderausstellung gestaltet. Bei der Vorbereitung stießen wir auf neuere Forschungen über Gusinde die belegen, dass er bei einem Ansuchen um Habilitation an der Uni Wien im Jahr 1939 dem Nazi-Regime gegenüber eine Loyalitätserklärung abgab. In der Ausstellung weisen wir darauf hin.

Aber wir fanden auch eine Rede von Gusinde aus dem Jahr 1929, in der er die Ursachen für das Völkersterben auf Feuerland schonungslos beim Namen nennt: Den Kapitalismus in Europa, der in seiner Gier nach Rohstoffen über die Leichen der Ureinwohner und Ureinwohnerinnen geht. Wir gaben der Ausstellung daher den Titel "Völkersterben?!" Da erreichte uns ein Zwischenruf aus Südamerika: "Nein, wir leben noch!" schrieben uns Nachkommen der Feuerland-Völker, mit denen wir in Kontakt gekommen waren. Ihre Briefe und ihren Zwischenruf haben wir in die Ausstellung eingefügt. Sie sind ein Zeugnis des Widerstandes gegen Ausbeutung, Entfremdung und Zerstörung. "Völkersterben?! - Nein, wir leben!" heißt jetzt die Ausstellung.

"Wir müssen Teilnahme gewinnen am Geschick der gesamten Menschheit." Dazu hat Martin Gusinde vor 100 Jahren aufgerufen, und ich meine: Es gilt heute mehr denn je!

Service

Ausstellung im Missionshaus St. Gabriel

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Dario Domingues
Album: The End Of The Yahgans Journey
Titel: Azul Limay
Anderssprachiger Titel: Blauer Limay
Solist/Solistin: Dario Domingues
Länge: 06:02 min
Label: Trikont EFA00145

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