Zwischenruf

Zwischen Allerseelen und Totensonntag

von Karin Weiler CS, Schwester der Gemeinschaft Caritas Socialis

Der Trauerforscher William Worden hat Trauer als einen aktiven Prozess beschrieben. Worden spricht von vier Aufgaben, die sich in der Trauer stellen: den Verlust als Realität akzeptieren, den Trauerschmerz durcharbeiten, sich adaptieren in einer Umwelt, in der der oder die Verstorbene fehlt. Und schließlich dem oder der Verstorbenen emotional einen neuen Platz im Leben einräumen und das eigene Leben weiterleben.

In einem Begleitgespräch hat mir eine Frau vom plötzlichen Unfalltod ihres noch nicht erwachsenen Sohnes erzählt. Er war bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Mehrmals erzählte sie die Situation des Anrufs, die ungläubige Hoffnung auf der Fahrt ins Spital, bis sie vor ihrem verstorbenen Sohn stand. Hatte sie auf der Fahrt noch gehofft, es handle sich um eine Verwechslung, es sei alles gar nicht wahr, so stand sie jetzt vor Tobias, ihrem Sohn, dessen Hände sie berühren und begreifen konnte: Er ist wirklich gestorben. Den Verlust als Realität akzeptieren.

Frau B. erzählte von den vielen Vorwürfen, die sie sich machte. Sie hätte ihrem Sohn doch verbieten sollen, den Motorradführerschein zu machen. Sie erinnerte sich an eine letzte Begegnung im Streit. Der Grund dafür scheint ihr im Nachhinein lächerlich. In ihrer Trauer ist sie wütend auf ihn, dass er an diesem Tag bei so schlechtem Wetter aufs Motorrad gestiegen ist. Eine Unzahl von Trauerschmerzen, die sie immer wieder durchlebt und auch nach Jahren noch durcharbeitet.

Die Familie lebte in einem kleinen Ort, in dem sich alle kannten und sich herumgesprochen hatte, was geschehen war. Eine der schlimmsten Erfahrungen sei gewesen, dass befreundete Menschen die Straßenseite gewechselt hätten, wenn sie Frau B. begegneten. Viel Sprachlosigkeit war da. Dabei hätte sie sich so sehr gewünscht über Tobias zu sprechen. Denn mit ihrem Mann über ihren Sohn zu sprechen war auch schwer. Er trauerte so anders, konnte gar nicht weinen. Schrecklich, das Zimmer von Tobias zu betreten und die vielen Dinge vorzufinden, die so dalagen, als ob Tobias gerade erst hinausgegangen wäre und gleich zurückkommen würde. Sich in einer Umwelt zurechtzufinden, in der der Verstorbene fehlt, war wohl die schwierigste der Aufgaben.

In einer Trauergruppe, die die Eltern Jahre später finden, lernen sie miteinander, Tobias einen neuen Platz in ihrem Leben einzuräumen. Sie erzählen einander, wie sie sich an ihn erinnern, was noch immer schmerzt, machen gemeinsam immer wieder einen Ausflug an seinen Lieblingsplatz, sind miteinander und mit ihrem Sohn weiter in Liebe verbunden.

Auf dem Weg haben ihnen Menschen geholfen: der Arzt in der Klinik, der die Mutter in der Begegnung mit ihrem verstorbenen Sohn begleitet hat. Die Freundin, die sich zu ihrer Sprachlosigkeit bekannt hat: "Mir fehlen die Worte, aber ich will gerade jetzt für euch da sein. Ich hab euch eine warme Suppe mitgebracht." Menschen, die ihre Scheu überwunden haben. Schließlich die Trauergruppe, die einen Raum für all die Gefühle und Erfahrungen geboten hat und das Wissen: Wir sind nicht allein.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Gabriel Fauré
Album: Nocturnes & Barcarolles
Titel: Nocturne für Klavier Nr. 4 Es-Dur, op. 36 (N 79)
Solist/Solistin: Marc-André Hamelin /Klavier
Länge: 07:42 min
Label: hyperion CDA68331/2

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