Müssen wir alles aushalten?

11. November 2024, 06:57

Als Reporterin in Krisengebieten habe ich Jahrzehnte lang über Menschen berichtet, die Unvorstellbares erleben: brutalen Terror, den Zusammenbruch ihrer Existenz, den Verlust des Zuhauses, jeder Geborgenheit; dazu unmittelbarer Lebensgefahr ausgesetzt waren, zerrieben zwischen Fronten. Oft haben sie hilflos zusehen müssen, wie ihre Liebsten schwer verletzt wurden, starben. Auf der Flucht mit ein paar Plastikplanen und ein wenig Lebensmitteln irgendwie weitermachen mussten. Oder auch wollten.

Das Bemerkenswerte dabei ist: Im Krieg aktiviert sich bei vielen ein Instinkt dafür, Kraftreserven zu erschließen, die kaum vorstellbar sind. Nicht alle werden von solchen potenziell traumatischen Erlebnissen gebrochen, halten mehr aus, als möglich scheint. Diese Resilienz, die seelische Widerstandsfähigkeit jener, die dieses eigentlich Unvorstellbare aushalten, steht derzeit im Fokus der Forschung und wurde zu einem Schlüsselbegriff der seelischen Gesundheit. Wieso halten manche mehr aus als andere? Lässt sich Resilienz wie ein Muskel trainieren?

Sich mit diesen Fragen zu befassen, fühlt sich richtig an. Angesichts der Gleichzeitigkeit der Krisen unserer Gegenwart ist enorme Widerstandskraft gefordert. Mit dem Boom an Ratgeberliteratur, Seminaren und Selbsthilfekursen wächst aber auch das Unbehagen mit der Verklärung der Resilienz.

Wer nicht alles aushält, kriegt es mit der Angst zu tun. Die Kritik an einer grassierenden Resilienz-Obsession wird lauter, rückt andere Fragen in den Raum: Müssen wir alles aushalten? Sind jene gescheitert, die der tägliche Kampf, sich immer besser zu wappnen in die Erschöpfung treibt? Brauchen wir Mut zur Nicht-Resilienz, um zu einer menschlicheren Welt zurückzufinden?

Service

Buch, Petra Ramsauer, "Nahost verstehen. Wie eine Region die Welt in Atem hält", edition a

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• Alexandra Mantler