Friederike Mayröcker

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Friederike Mayröcker, Viola und die Blumen

Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum 100. Geburtstag von Friederike Mayröcker

Am 3. März 2016 stellte Friederike Mayröcker in der Alten Schmiede in Wien ihren eben erschienenen poetischen Prosaband "fleurs" vor. Der Andrang war so groß und der Raum längst voll, als ich ankam; ich konnte nur mehr die Videoübertragung in einem anderen Raum hören und dabei fasziniert die Nahaufnahmen ihres Gesichts sehen.

Die große Konzentration auf die noch unbekannten Texte machte mich immer ruhiger und ließ einen langen Arbeitstag von mir abgleiten. Die leise Stimme der Dichterin erfüllte mich immer mehr, und plötzlich fiel ich in einen Halbschlaf, in dem ich die Worte nicht mehr verstand, aber glücklich war von der Melodie ihrer Stimme.

Als ich mich nach der Lesung auf den Weg in den Saal machte, wo die Dichterin noch lange ihre Bücher signierte, sprachen Bekannte mich verwundert an oder gratulierten mir, und ich musste hinter einem stillen Lächeln verbergen, dass ich offenbar etwas Entscheidendes nicht mitbekommen hatte: Mein Name hat - wie nicht wenige andere - Eingang gefunden in das Buch "fleurs" - und der meiner Tochter Viola, weil ich Friederike Mayröcker einmal von ihr erzählt hatte. Lange habe ich mich geschämt, dass ich gerade den Augenblick verschlafen habe, an dem sie diesen Abschnitt gelesen hat.

Heute weiß ich, dass es gut war, denn ich musste, als ich den Satz über uns las, allein sein; in der Öffentlichkeit hätte ich ihn nicht ertragen. Das Buch "fleurs" ist im Arbeitszimmer immer in meiner Nähe und lässt mich eine Zuversicht spüren, als wäre ich damit im Buch des Lebens verzeichnet. Zwischen den Seiten liegt ein Lesezeichen, das meine Tochter für mich gemacht hat, es hat im Laufe der Jahre den Text über sie und mich mit einem hellen Himmelblau grundiert. Und Viola weiß, dass ihr Name aufgehoben ist im Buch "fleurs".

Service

Friedericke Mayröcker, "fleurs", Suhrkamp
"cahiers", Suhrkamp
"études", Suhrkamp
"Magische Blätter I-V", Suhrkamp
Marcel Beyer (Hg.), "Gesammelte Gedichte 2004-2021", Suhrkamp
Erika Kronabitter (Hg.), "HAB DEN DER DIE DAS. Der Königin der Poesie Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag", Edition Art Science
Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic, Susanne Rettenwander (Hg.), "ich denke in langsamen Blitzen. Friederike Mayröcker, Jahrhundertdichterin", Paul Zsolnay
"Der Brief an den Einbrecher" in: "Wiener Hefte 2: alles aufarbeiten! Friederike Mayröcker", Wienbibliothek im Rathaus

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Frederic Chopin 1810 - 1849
Gesamttitel: 24 Preludes op.28 für Klavier
Titel: Prelude op.28 Nr. 4 in e-moll - Largo
Solist/Solistin: Andrea Lucchesini
Länge: 01:20 min
Label: EMI 749725-2

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