Der Zeit ihre Kunst ermöglichen

3. Jänner 2025, 13:00

Die Kultur in Europa "befindet sich in einer Krise": Das schrieben die Leiter:innen von rund 200 europäischen Kulturinstitutionen Ende November an das Europäische Parlament. Infolge des fortwährenden Rechtsrucks in Europas politischen Landschaften sehen die Kulturschaffenden sich "einer politischen Kampagne ausgesetzt, die die Meinungs- und Kunstfreiheit einschränkt und alles, was nicht der politischen Linie rechtskonservativer, nationalistischer Parteienbündnisse entspricht, durch Kürzungen oder Verbote eliminiert."

Unter den Unterzeichnenden findet sich neben Festwochen-Intendant Milo Rau etwa auch Matej Drlicka, der als Direktor des Slowakischen Nationaltheaters 2024 von der Kulturministerin für "politischen Aktivismus" entlassen worden war. Zuletzt hat in Österreich mit der FPÖ eine Partei die Wahlen gewonnen, die ebenfalls die "Förderpolitik kritisch unter die Lupe nehmen" will. Im Wahlkampf wetterte Herbert Kickl gegen "woke Events" und erweckte zwischenzeitlich den Eindruck, auch die Salzburger Festspiele würden für ihn darunter fallen. Die Wiener Festwochen finden sich sogar explizit als Negativbeispiel im Parteiprogramm, förderwürdig sei hingegen das "abendländische Erbe des Landes".

Ein Angriff auf die Kunstfreiheit wäre ein Angriff auf die Verfassung. "Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei", lautet der Artikel 17a des Staatsgrundgesetzes, seit 1983 als eigenständiges Grundrecht in der Verfassung verankert. Die Kunstfreiheit ist außerdem von der Meinungsfreiheit in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention gedeckt, wird in der EU-Grundrechtscharta explizit erwähnt, und laut "UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen" sind politische Maßnahmen zur Kunstförderung ausdrücklich erwünscht - unter "Anerkennung der gleichen Würde und die Achtung aller Kulturen", übrigens.

"Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein/man diskutiert mit ihnen nicht" sagt Danger Dan in dem Song mit dem Titel und Refrain "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt". Und nennt offen Protagonisten der Neuen Rechten und der AfD. Die Single erklärt sich selbst als "ein Experiment/mal die Grenzen auszuloten, was erlaubt und was verboten ist". Mit diesen Grenzen, mit Auslegung und Effektivität der Kunstfreiheit beschäftigt sich auch die Grazer Juristin Antonia Bruneder. Sie beschäftigt sich intensiv mit der österreichischen Rechtsprechung über die Kunstfreiheit, die aufgrund des vagen Kunstbegriffs letztlich "immer eine Einzelfallentscheidung" sei. Kunst darf und soll polarisieren - aber bedeutet das, dass die Gesellschaft auch misogyne und gewaltverherrlichende Texte aushalten muss, wie sie im Deutschrap derzeit vermehrt vorkommen? Diesem Thema widmet sich Antonia Bruneder in ihrem Buch "Kunstfreiheit und Gangsta-Rap" von 2023. Der Umgang mit der Kunstfreiheit münde letztlich in der Frage, welchen Wert Kunst in unserer Gesellschaft hat, sagt sie.

Antonia Bruneder ist zu Gast bei Xaver Forthuber. Reden Sie mit uns über verschiedene Kunstformen, die Freiheit, die sie verdienen, und wie sie sich garantieren lässt: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at.

Service

Antonia Bruneder: Kunstfreiheit und Gangsta-Rap. ine Analyse des Grundrechts auf Kunstfreiheit am Beispiel des deutschsprachigen Gangsta-Rap. Schriften zum österreichischen und europäischen öffentlichen Recht, Bd. 33. Wien: Verlag Österreich, 2023.

Sendereihe

• Punkt eins