Schillernde Ambivalenz

20. Jänner 2025, 06:57

Ambivalenz ist ein schillerndes, scheinbar nebensächliches Phänomen, das sich schwer beschreiben lässt. Ein internes seelisches Kontrastprogramm, das Da-Sein von sich widersprechenden Wünschen, Gefühlen und Gedanken.

Wie einfach könnte doch die Welt beschaffen sein, wenn es diese Ambivalenz nicht gäbe, sondern die seelische Welt so eindeutig wäre wie in der Rede des Jesus beim Evangelisten Matthäus: "Eure Rede sei Ja, ja, Nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel."

Der moderne Mensch, der zugleich liebt und hasst, der zugleich Nähe und ihre Vermeidung sucht, befindet sich in einer Zwischenwelt, eingesperrt zwischen Ja und Nein. Er kann stets auch anders. Unentschlossen stehen wir da, wie der Mann vom Lande bei Kafka, der nicht weiß, ob er die Schwelle des Tores überschreiten soll oder nicht.

Der ambivalente Mensch erscheint als Abweichung von der Normalität. Er lebt in einer quälenden Befindlichkeit: Was ihn anzieht, stößt ihn zugleich ab, der Zwiespalt schnürt ihn ein, macht ihn handlungsunfähig. Aus diesem Blickwinkel erscheint Ambivalenz wie eine Krankheit. Der Mensch ist nicht mit sich im Reinen. Prominente literarische Figuren wie Hamlet, Don Quichotte oder die Figuren von E.T. A. Hoffmann sind sie nicht ambivalent und gespalten?

Debütiert hat der Begriff im Geleit einer psychischen Erkrankung. Der Psychiater Eugen Bleuler hat ihn 1910 in die Welt gesetzt. Er sah Ambivalenz als Symptom jener Krankheit, die ja mit Spaltung und Lähmung einhergeht: Schizophrenie. Längst ist man davon abgekommen, Ambivalenz mit diesem Zustand zu verbinden. Die Assoziation ist geblieben.

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