Zwischenruf
Das Erlebte soll eingraviert bleiben
von Sr. Beatrix Mayrhofer, Orden der Schulschwestern
26. Jänner 2025, 06:55
Am Samstag, dem 27. Jänner 1945, befreiten die Soldaten der sowjetischen Roten Armee das Lager in Auschwitz. Sie erschrecken angesichts des unsagbaren Grauens, der zahllosen Toten, der geschundenen Menschen. Selbst die Soldaten stehen zunächst unter Schock.
Das Mädchen Tova und seine Mutter haben das Vernichtungslager überlebt. Tova Friedman hat sich ihre eintätowierte Nummer nicht löschen lassen. Viele Jahre später hat sie sich dann entschieden, das grausam Erlebte niederzuschreiben. Was sie als jüdisches Kind aus Polen erlitten hat, soll in Erinnerung bleiben. Ich bin Tova Friedman sehr dankbar für die Kraft und den Mut, ihre Geschichte niederzuschreiben.
Ich habe die Erzählung des Mädchens aus Ausschwitz gelesen. Ich gestehe, ich konnte das Buch nicht in einem Zug durchlesen. Immer wieder musste ich es weglegen. Die geschilderten Grausamkeiten, aber auch die Liebe und die Klugheit der Mutter haben mich tief erschüttert. Ich habe mich zum Weiterlesen gezwungen. Wie kann ich nicht lesen wollen, was Millionen von Menschen durch die zynische Vernichtungsmaschine der Nationalsozialisten erlitten haben? Frau Friedman hat ihre Tätowierung nicht löschen lassen. Das Erlebte soll eingraviert bleiben - auch in unser aller Gedächtnis - als Mahnmal, als Ermahnung zur Wachsamkeit.
Immer wieder gehen meine Gedanken zu den Kindern, die jetzt in den Lagern, in den Gefängnissen unserer Welt leben. Jahrelang hat einer dieser gefürchteten Orte Saidnaya geheißen, das Foltergefängnis in Damaskus. Die Rebellen haben die Stadt im Dezember des vergangenen Jahres erobert, den Machthaber gestürzt und schließlich auch die Türen dieses Gefängnisses aufgesprengt. In einer großen Tageszeitung lese ich von einem kleinen Video, das die Rebellen dort gedreht haben. Es geht auch um ein kleines Mädchen, das verwirrt auf einem der Gänge steht. Das Kind weiß offenbar nicht, wo es ist, vermutlich wurde es im Gefängnis gewaltsam gezeugt. Ich denke, das Kind hat die Tage und Nächte neben der Mutter verbracht - mit all den Schrecken, die die Spuren an den Wänden der Zelle erahnen lassen. Ob die Mutter noch lebt? Ich kann die Geschichte nicht überprüfen, aber ich wünsche dem Kind und der Mutter und allen jetzt Freigelassenen die so notwendige Hilfe zur Bearbeitung der erlittenen Traumata.
Nicht nur heute und morgen, 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, hoffe ich auf die Befreiung der vielen Menschen, die jetzt zu Unrecht eingesperrt sind in den Gefängnissen mörderischer Systeme. Ich denke auch an die vielen Kinder, denen jeder Zugang zu Bildung, zu einem Leben in Würde verwehrt wird. Das Wissen um die Tätowierung am Unterarm von Tova Friedman weckt in mir eine besondere Dankbarkeit. Es ist eine Ermutigung zum Gedenken an die vielen Menschen, die heute kämpfen um die Bewahrung von Recht und Gerechtigkeit. Ich bitte um den Mut und die Kraft einer Tova Friedman für die Menschen, die der Wahrheit ihre Stimme geben.
Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: David Diamond
Album: DAVID DIAMOND: ORCHESTERWERKE
Titel: Kaddish - für Violoncello und Orchester
Solist/Solistin: Janos Starker /Violoncello
Orchester: Seattle Symphony
Leitung: Gerard Schwarz
Ausführender/Ausführende: Janos Starker/1924-2013
Länge: 10:45 min
Label: Naxos 8559155