APA/GEORG HOCHMUTH
Menschenbilder
Martin Pollack in memoriam.
"Wo Sie ein bisschen kratzen, da kommt etwas heraus." Der Übersetzer, Journalist und Autor Martin Pollack.
26. Jänner 2025, 14:10
Martin Pollack (*23. Mai 1944, gestorben am 17. Jänner 2025) hat in mehrfacher Weise Pionierarbeit geleistet. Zunächst mit seinem Interesse und Engagement für die Literatur, Geschichte und Gesellschaft von Ländern, die im Westen lange Zeit weiße Flecken waren: Polen, Weißrussland, die Ukraine. Hellsichtig warnte er vor Entwicklungen, die Wirklichkeit wurden.
Mit seinen Büchern und Reportagen über die Geschehnisse im Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg trug der Autor aber auch wesentlich zur Auseinandersetzung mit jener Zeit und ihrer anhaltenden Mentalität in Österreich bei - allen voran mit seinem Buch "Der Tote im Bunker. Die Geschichte meines Vaters."
Geboren in Bad Hall in Oberösterreich, hat Martin Pollack - als Kontrastpunkt zu seinem nationalsozialistisch geprägten Elternhaus - Slawistik studiert und sich intensiv mit Polen befasst, dieses Interesse wurde, wie er sagt, während des Studiums zufällig durch eine Polonistin begründet. Er übersetzte Bücher polnischer Autoren wie Ryszard Kapuscinski und Daniel Odija und galt als einer der profiliertesten Übersetzer polnischer Autoren.
Zum Teil gemeinsam mit Christoph Ransmayr entwickelte Martin Pollack eine eigene Form der literarischen Reportage, frühe Arbeiten erschienen in der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Zeitschrift Transatlantik. Sein erstes Buch "Nach Galizien" führte in einen vergessenen Teil Altösterreichs, seine Literatur und Kultur. Als Korrespondent des Wochenmagazins Spiegel beschäftigte sich Martin Pollack intensiv mit dem Osten Europas. Er engagierte sich für Schriftsteller aus wenig beachteten Ländern, gab ihre Bücher heraus, setzte sich persönlich für sie ein.
2002 erschien sein Buch "Anklage Vatermord" über den Fall Philip Halsmann und hatte großen Erfolg, wie zwei Jahre später seine Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater. "Diese Geschichte war eine sehr schwierige, eine sehr schmerzvolle", erzählt Martin Pollack in diesem "Menschenbild". "Trotzdem war es wichtig, diese Geschichte zu schreiben und sie dem Vergessen zu entreißen." Die Mentalität der Familie verstehe er danach besser, doch manches könne er nicht nachvollziehen, wie die Jagd auf Juden in der Slowakei durch ein Sonderkommando unter Leitung seines Vaters, 1944. "Wie ein gebildeter Mann aus unserem Kulturkreis, noch dazu mein leiblicher Vater, so etwas machen konnte - die Einsicht war für mich, dass wir es nicht Monstern und Psychopathen zu tun haben. Die hat es sicher gegeben, nicht so wenige - aber im Großen und Ganzen waren das Menschen, die normal funktioniert haben, liebenswerte Väter, Liebhaber, Brüder, aber trotzdem diese Seite gezeigt haben. Und das ist für mich das eigentlich Furchtbare."
Martin Pollacks Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, sein Werk mit vielen Auszeichnungen gewürdigt. Mehrere Jahre hindurch kämpfte er gegen eine Krebserkrankung, es hielt ihn nicht davon ab, sich weiter zu engagieren. So organisierte er im März 2022 im Wiener Volkstheater eine Benefizlesung gegen den Krieg in der Ukraine.
Die "Menschenbilder" wiederholen aus dem Anlass des Ablebens von Martin Pollack eine Sendung, die erstmals im April 2009 ausgestrahlt wurde. (Zweite Ausstrahlung in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, 29. 1. um 00.05.)
Gestaltung: Petra Herczeg und Rainer Rosenberg