Liebeserklärungen

11. Februar 2025, 06:57

Meine Frau hat einmal nach zwölf Kärntner Nudeln gesagt: "Ich fühl mich nicht besonders." Und ich habe geantwortet, wie aus der Pistole geschossen: "Bist du aber". In Punkto Liebeserklärungen war das mein bisher hellster Moment. Große Poesie ist das keine, aber für den Hausgebrauch gar nicht übel.

Die schönste Liebeserklärung aller Zeiten ist kein Gedicht oder Lied, sondern folgender Gesetzestext: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Solidarität begegnen." Was für liebevolle Sätze. Ich finde den Gedanken beeindruckend, dass 1948 Denkende aus aller Welt gemeinsam überlegt haben, was alle Menschen überhaupt gemeinsam haben, und dann, unter dem Eindruck von Weltkrieg und Shoah diesen optimistischen, wohlwollenden, großmütigen Artikel 1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formulierten.

Nur über den Begriff "Gewissen" stolpere ich jedes Mal. Wahrscheinlich konnte die deutsche Übersetzung von conscience 1948 aber nicht ohne erzieherische Dimension auskommen. Schon conscience, also Bewusstsein war nicht genau das, was Peng Chun Chang gemeint hatte, ein Diplomat und Konfuzianer, der in den Beratungen den Kontinent Asien vertrat.

Rén, das hätten alle Menschen gemeinsam, darauf wollte Chang hinaus, und Rén bedeutet viel mehr als Bewusstsein und überhaupt gar nicht Gewissen, Rén ist eine Art Anteilnahme am Schmerz anderer, aber nicht nur am Schmerz, gemeint ist eine dreidimensionale Form von involvierter Mitmenschlichkeit. Ich finde, das beste deutsche Wort für Rén ist "Freundschaft". Deshalb schlage ich hiermit als erneuerte allgemeine Liebeserklärung vor: Der Mensch ist zur Vernunft und zur Freundschaft begabt.

Service

Podcast abonnieren

Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler