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Gedanken für den Tag

Else Lasker-Schüler und das letzte Zuhause

Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum Welttag der Poesie

Wenn diese Woche mit Lesungen oder Performances der Welttag der Poesie begangen wird, so zeigt sich eines ganz sicher: wie unterschiedlich die sprachlichen Gebilde sind, die wir als Gedichte bezeichnen; und natürlich auch, wie verschieden die Dichterinnen und Dichter sind, deren Kunstwerke das poetische Universum bilden.

Manche von ihnen verkörpern so etwas wie eine poetische Existenz - sie demonstrieren den Ausstieg aus dem normalen Alltag, ihr Leben ist ganz von ihrer Kunst geprägt. H. C. Artmann fällt mir da als erster ein - und dass es am 4. Dezember schon 25 Jahre her sein wird, dass er nur noch in seinen Gedichten und Büchern lebt. Oder Else Lasker-Schüler, die in ihrer Zeit als Inkarnation der Poesie erlebt wurde; am 22. Jänner waren es 80 Jahre, dass sie in Jerusalem verstorben ist.

"Mein blaues Klavier" heißt der letzte Gedichtband, der zu ihren Lebzeiten erschienen ist. Das titelgebende Gedicht ist eines ihrer bekanntesten:

Mein blaues Klavier
Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.
Es spielten Sternenhände vier -
Die Mondfrau sang im Boote.
- Nun tanzen die Ratten im Geklirr.
Zerbrochen ist die Klaviatür.
Ich beweine die blaue Tote.
Ach liebe Engel öffnet mir
- Ich aß vom bitteren Brote -
Mir lebend schon die Himmelstür,
Auch wider dem Verbote.

Die Farbe Blau sticht als erstes ins Auge: die Farbe der Romantik und der Kunstbewegung "Blauer Reiter", mit der Else Lasker-Schüler eng verbunden war. Inmitten der schönen Bilder ist die Zeitangabe des Gedichts von schneidender Klarheit: "Seitdem die Welt verrohte". Das Gedicht wurde 1937 in Zürich veröffentlicht, wohin Else Lasker-Schüler vor dem Nationalsozialismus geflohen war. Das zertrümmerte Klavier ist ein letztes Stück Zuhause. Aus der bitteren Erinnerung daran kommt die Hoffnung auf eine Himmelstür.

Service

Gedicht, Else Lasker-Schüler, "Mein blaues Klavier", Reclam Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Gabriel Fauré
Album: Nocturnes & Barcarolles
Titel: Nocturne für Klavier Nr. 11 fis-Moll, op. 104 Nr. 1
Solist/Solistin: Marc-André Hamelin /Klavier
Länge: 01:00 min
Label: hyperion CDA68331/2

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