Gedanken für den Tag
"Scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht"
Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum Welttag der Poesie
20. März 2025, 06:57
Poesie ist prägnant und kann sich zu unvergesslichen Formeln verdichten, Poesie ist durch Rhythmus und Reim leicht auswendig zu lernen und zu singen; in Zeiten der Diktatur lässt sich Poesie anonym und schnell verbreiten. Poesie ist aber auch das Experimentallabor für neue Wörter, Bilder und Klänge einer Sprache, und wenn diese einen unvermittelt treffen, bleibt manchmal die Zeit stehen.
"Das Volk braucht Poesie wie Brot", schrieb die französische Denkerin Simone Weil. Ingeborg Bachmann hat diesen Satz in ihrer ersten Frankfurter Vorlesung fortgesetzt: "Poesie wie Brot? Dieses Brot müsste zwischen den Zähnen knirschen und den Hunger wiedererwecken, ehe es ihn stillt. Und diese Poesie wird scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht sein müssen, um an den Schlaf der Menschen rühren zu können."
Seit dem Jahr 2000 wird, initiiert von der UNESCO, weltweit der Tag der Poesie mit vielen Veranstaltungen gefeiert. Poesie hat auch im Zeitalter der neuen Informationstechnologien einen ganz eigenen Platz im Kulturellen und Gesellschaftlichen.