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Punkt eins
Schrebergärten: Kleinbürgeridyll und Spekulationsobjekt
Wie viel Natur steckt (noch) im Kleingarten? Gast: Peter Autengruber, Historiker und Lehrbeauftragter am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Autor, Kleingärtner. Moderation: Alexander Musik. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
23. April 2025, 13:00
40.200 Kleingärten gibt es heute in Österreich, knapp 25.000 davon in Wien. Grünflächen mit einer langen Geschichte, die ins 19. Jahrhundert weist, als hemmungslose Industrialisierung und desolate Wohnverhältnisse für das Gros der Bevölkerung in den Städten bald zu einem Ruf nach Licht und Luft führten - zu der Idee, möglichst in Reichweite der mangelhaften Behausungen wenigstens ein paar Quadratmeter Grün für alle bereitzustellen.
Heute verwalten 247 Vereine allein in Wien 24.965 Kleingärten. Der Zentralverband der Kleingärtner und Siedler Österreichs unterhält mit 7.619.261 Quadratmetern die größten Flächen. Hinter der ausdifferenzierten Verwaltungsstruktur verbergen sich Kleingartenanlagen unterschiedlichster Art: liebevoll restaurierte Gartenhäuser aus den 1920er Jahren, umgeben von alten Obstbäumen, Sträuchern und Beeten, konkurrieren mit klobigen Wohnwürfeln, deren Grundfläche oft die maximale gesetzlich zulässige Ausdehnung erreicht. Daneben steht ein Pool und lässt kaum noch Platz für das, was einen Kleingarten einmal auszeichnete: naturnahes Gärtnern.
"In neu errichteten Kleingartenanlagen sind die Häuser meist nur durch die ausführende Baufirma unterscheidbar", schreibt der Historiker Peter Autengruber in seinem neuen Buch "Die Wiener Kleingärten. Von den Anfängen bis zur Gegenwart": "Derartige Anlagen gleichen eher einer Reihenhaussiedlung als einer klassischen Kleingartenanlage. Die Monotonie von Fertigteilhäusern dominiert. Abgesehen davon entsteht der Eindruck einer Verhüttelung ("Landschaftsfresser")."
Doch Autengruber, selbst langjähriger Kleingärtner, hat auch Verständnis für die Beweggründe, die den ursprünglichen Charakter des Kleingartenidylls vielfach zum Verschwinden gebracht haben: "Da für einen großen Teil der Bevölkerung das "eigene Haus mit Garten" nach wie vor ein Wunschziel und vor allem im städtischen Raum ein Haus für den Durchschnittsverdiener unerschwinglich ist, bleibt "Wohnen im Kleingarten" als vergleichsweise kostengünstige Alternative."
Zwei Daten markieren die Einschnitte, die die Wiener Kleingärten in Optik und Funktion dramatisch verändert haben: 1992 erhielten viele Wiener Kleingartenanlagen die Widmung "eklw": Erholungsgebiet Kleingarten für ganzjähriges Wohnen. Damit kam die Gemeinde Wien zwar dem Wunsch vieler Kleingärtner nach, doch die Probleme folgten auf dem Fuße: Gartenhütten auf Parzellen von 200-250 Quadratmetern wandelten sich zu festen Häusern mit dem Komfort einer Stadtwohnung. Nun war es möglich, seinen Hauptwohnsitz in der Kleingartenanlage anzumelden - das Verkehrsaufkommen zu und von den Anlagen stieg entsprechend; Parkplätze wurden Mangelware.
1993 beschloss die Gemeinde Wien, dass man Kleingartenparzellen auch kaufen konnte. Das löste heftige Preissteigerungen der Parzellen auch in weniger attraktiven Lagen aus - der Kleingarten wurde immer mehr zum Spekulationsobjekt. Mitunter kauften sich Menschen in die Kleingarten-Anlagen ein, die sich am dortigen Gemeinwesen gar nicht beteiligen wollten. Der Gemeinschaftsgedanke, der stets sehr zentral in den Anlagen war, drohte zu erlahmen.
2021 stoppte Wien den Verkauf der Parzellen denn auch - um sich nach neoliberalen Jahren heute wieder einen etwas grüneren Anstrich zu geben: Bis zum 20. April konnten heuer alle Wiener:innen an einer Verlosung teilnehmen - und mit etwas Glück im Projekt "Wiener StadtGartl" zum Kleingarten auf Zeit kommen.
Alexander Musik diskutiert mit dem Historiker, Buchautor und Kleingärtner Peter Autengruber über die vielen Häutungen des Kleingartens: Vom Nahrungsbeschaffer in Kriegs- und Nachkriegszeiten über den langen Weg zum ganzjährigen Wohnen bis zum Spekulationsobjekt.
Wie immer sind Sie eingeladen mitzudiskutieren: Sind Sie Pächter eines Kleingartens in Wien oder in den Bundesländern? Was ist Ihnen wichtig in Ihrer Kleingartenanlage? Gibt es den sozialen Zusammenhalt dort noch? Wie hat sich der Charakter der Wiener Kleingärten verändert? Rufen Sie an kostenlos aus ganz Österreich unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie E-Mails an punkteins(at)orf.at
Service
Buch:
Peter Autengruber: Die Wiener Kleingärten. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. (2. überarb. u. erw. Ausgabe.) Promedia Verlag 2025
Sendereihe
Gestaltung
- Alexander Musik