Zwischenruf
Mütterliches aus der Bibel
von Regina Polak, katholische Theologin und Religionssoziologin
11. Mai 2025, 06:55
Heute ist Muttertag. Auch wenn er kein christlicher Feiertag ist, ist der Muttertag für mich ein willkommener Anlass, einmal in der Bibel zu blättern und zu fragen, ob es über die oft stärker männlich geprägten Gottesbilder hinaus nicht auch noch andere zu entdecken gibt. Gottesbilder, die eine eher mütterliche Seite Gottes zeigen. Schließlich, so erzählt es die Bibel gleich an ihrem Anfang, habe Gott den Menschen "nach seinem Bild" geschaffen - und zwar männlich UND weiblich (1 Mos/Gen 1,27).
Die in der Bibel am häufigsten erwähnte Eigenschaft Gottes ist seine Barmherzigkeit. "HERR, HERR, Gott! Du bist reich an Barmherzigkeit und Gnade, unendlich geduldig und voller Güte und Treue." (2 Mos/Ex 34,6 BasisBibel). Im deutschen Wort "Barmherzigkeit" steckt das "Herz". Das entsprechende hebräische Wort entstammt der gleichen Wortfamilie wie der "Mutterschoß" oder die "Gebärmutter". Gottes Emotionalität, seine bedingungslose Zuwendung, kommt also "aus dem Bauch heraus". So zu handeln wird doch eher - natürlich nicht nur - Frauen zugeschrieben.
Die Bibel spricht davon, dass Gott wie eine Hebamme handelt, die dabei hilft, ein Kind bei der Geburt ins Leben zu holen (Ps 22,10; Jes 66,9). Bilder von Müttern aus der Tierwelt, die ihre Jungen beschützen und verteidigen, werden in der Bibel wiederholt auf Gott übertragen: "Wie ein Vogel seine Jungen mit den Flügeln schützt, so wird der HERR Zebaot Jerusalem beschützen" (Jes 31,5 BB). An anderer Stelle wird Gott wie ein weiblicher Adler beschrieben: "Ein Adler lässt seine Jungen aus dem Nest ausfliegen. Wachsam kreist er über ihnen und schützt sie. So hat er, Gott, seine Flügel ausgebreitet, sein Volk aufgefangen und getragen." (5 Mos/Dtn 32,11). Der Prophet Hosea weiß, dass Gott sein Volk so leidenschaftlich gegen mögliche Gegner verteidigt wie eine Bärin, "der man die Jungen weggenommen hat." (Hos 13,8).
Ich blättere weiter in meiner Bibel und entdecke, dass Gott nicht selten mit dem Bild einer fürsorglichen Mutter beschrieben wird. So lässt der Prophet Jesaja Gott, der die herrschenden Verhältnisse auf den Kopf stellen wird, sprechen wie eine Frau in Geburtswehen: "Jetzt aber stöhne ich wie eine Frau bei der Geburt, ich keuche und ringe um Luft" (Jes 49,15 BB). Der Prozess der Veränderung, den Gott in die Wege leitet, ist offenbar schmerzhaft.
Der Prophet Hosea beschreibt Gottes liebevolle Zuwendung zu seinem Volk mit dem Bild einer Mutter, die ihr Kleinkind stillt: "Ich war zu ihnen wie eine Mutter, die ihren Säugling an die Wangen hebt. Ich beugte mich zu ihm, um ihn zu füttern." (Hos 11,4 BB). Wie ein weinendes Kind in den Armen seiner Mutter zur Ruhe kommt, so verspricht Gott im Buch des Propheten Jesaja seine tröstliche Nähe: "Wie ein Kind werdet ihr auf der Hüfte getragen und auf den Knien geschaukelt. Ich will euch trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet." (Jes 66,12+13BB).
Ich wünsche mir, dass - nicht nur am Muttertag - der barmherzige Gott der Bibel von vielen als Vater und Mutter, als Hirte und Hebamme entdeckt wird.