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Gedanken für den Tag
Zauberer und Berge
Gedanken von Hosea Ratschiller, Kabarettist, zum 150. Geburtstag von Thomas Mann
2. Juni 2025, 06:57
Keine andere Sprache traut sich selbst so viel zu wie das Deutsche. Sprachspiele werden in deutschen Texten mit dem Denken selbst gleichgesetzt, sie schreiben dem Sprechen heilsame Selbsterfahrung zu und, wenn plötzlich nicht mehr der Geist am Anfang aller Dinge steht, sondern das Wort, dann weißt du, hier wurde ins Deutsche übersetzt.
Höher kann eine Sprache sich selbst nicht hängen. Und tiefer konnte sie folgerichtig nicht fallen. Großvater, wir danken dir. Weltweit war noch vor 100 Jahren eine wichtige Voraussetzung für Relevanz in Wissenschaft, Politik und Literatur die Publikation in deutscher Sprache. Durch brutalen Unsinn, der im vergangenen Jahrhundert auf Deutsch in die Welt gebrüllt worden ist, hat sich dieser Anspruch auf kulturelle Vormacht selbst erledigt.
Kurz lösten die Hippies im Bann von Steppenwolf und Glasperlenspiel ein bescheidenes Revival aus, aber seither gilt das Deutsche und alles, was auf Deutsch publiziert wird, außerhalb eines Bruchteils von Europa für gehobene Auseinandersetzung mit der Gegenwart als bedeutungslos. Die Germanistik hat sich von der Weltdisziplin zur regionalen Liebhaberei verzwergt. Gemessen an ihrem erheblichen Beitrag zum Zivilisationsbruch eine milde Strafe. Und, wer belesen genug ist, darf sich sogar befreit fühlen. Denn Sprache kommt ihrer Bestimmung im selben Maß nahe, wie sie zur Liebhaberei taugt.
Als herausragender Zeuge der Gesundschrumpfung des Deutschen steht an der Schwelle von der Gewalt zur Passion ein queerer Hanseate mit Migrationshintergrund: Thomas Mann. Mit Bewunderung und Dankbarkeit wird man dem Werk dieses deutschesten aller Giganten nicht gerecht. Aber ein paar nette Worte zum Hundertfünfziger sollten schon drin sein. Wir werden uns größte Mühe geben.
Service
Thomas Mann, "Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher", S. Fischer Verlag 2002
Dieter Borchmeyer, "Thomas Mann. Werk und Zeit", Verlag Insel 2023
Michael Maar, "Das Blaubartzimmer. Thomas Mann und die Schuld", Rowohlt Verlag 2025
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Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Hans P. Ströer
Vorlage: Thomas Mann
Gesamttitel: BUDDENBROOKS - DECLINE OF A FAMILY
Titel: Walzervorspiel
Länge: 01:10 min
Label: Milan CD 399 267-2