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Gedanken für den Tag
Über die Buddenbrooks
Gedanken von Hosea Ratschiller, Kabarettist, zum 150. Geburtstag von Thomas Mann
3. Juni 2025, 06:57
Thomas Mann hat das 20. Jahrhundert mit dem ersten Roman begonnen, der Deutschland unüberhörbar als Gesellschaft beschreibt. Nicht mehr und nicht weniger.
Was vor den Buddenbrooks nur als Rangordnung gelesen werden konnte, war seither auch als Wechselwirkung beschrieben. Oben und unten, Mensch und Natur, Maschine, Kultur und Kommerz literarisch in ein Verhältnis zu setzen, das über Hierarchie hinausgeht, und zwar so kunstvoll, dass niemand daran vorbeikann, und das weltweit - ka Bemmerl, wie wir in Wien sagen.
Vielleicht hätten Doderer, Musil oder Joseph Roth ihre grazilen Wälzer auch ohne Buddenbrooks hingelegt, aber halten wir fest, da ist einer ganz oben gestartet, und hat die Tür für Nachkommende nicht zugedrückt, auch nicht geöffnet und offenstehen lassen, nein, Thomas Mann ist die Tür selbst. Ausgerechnet der große Sichzurückzieher, der Oberabschotter und Überhauptnichtgestörtwerdendürfer, für den alle auf Zehenspitzen gehen müssen, damit der einsame Klassiker nicht beim Zaubern gestört wird, darf als derjenige gelten, der die deutsche Literatur der Idee des Sozialen geöffnet hat. Das ist eine Pointe, wie aus der Feder des Meisters selbst, wo sie ja auch herkommt.
Thomas Mann hat für seine Pointen die eigene Großmutter verkauft und den Großvater gleich dazu, Frau und Kinder sowie sämtliche Freunde und Schwärmereien. Die Buddenbrooks sind nicht nur der erste Gesellschaftsroman in deutscher Sprache, sie sind Autofiktion mit Hochdisziplin. In der Waagschale des Thomas Mann liegt zwar Thomas Mann, und zwar auf beiden Seiten, aber immer als Gemengelage und Verhandlungsmasse und nicht als potente Instanz. Mehr Einsatz für die Revolution kann man von einem bourgeoisen Schriftsteller nicht verlangen.
Service
Thomas Mann, "Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke, Briefe, Tagebücher", S. Fischer Verlag 2002
Dieter Borchmeyer, "Thomas Mann. Werk und Zeit", Verlag Insel 2023
Michael Maar, "Das Blaubartzimmer. Thomas Mann und die Schuld", Rowohlt Verlag 2025
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Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Hans P. Ströer
Vorlage: Thomas Mann
Gesamttitel: BUDDENBROOKS - DECLINE OF A FAMILY
Titel: Buddenbrooks (Main Title)
Länge: 01:10 min
Label: Milan CD 399 267-2