Radiogeschichten Spezial

Machos Klassiker der Philosophie (V)

Zehn klassische Texte der Philosophie - ausgewählt und kommentiert von Thomas Macho. 5. Folge: Christine de Pizan: "Die Stadt der Frauen" (1405)
Es liest Chris Pichler

Christine de Pizan wurde im Jahr 1364 in Venedig geboren. Über ihren Vater erzählt sie in ihren autobiographischen Schriften, er habe über zwei kostbare Steine verfügt: über den Edelstein der Sternenkunde und Astrologie und über den Edelstein der Medizin. Insbesondere der Edelstein der Astrologie habe ihren Vater zu einem wichtigen Ratgeber gemacht, denn er nutzte den Stein "so geschickt, dass er oft die Herrscher dieser Welt informierte über großen Frieden oder großen Krieg, über gewaltige Unwetter, drohende Sterblichkeit, Hungersnot oder über die Witterung, je nachdem, was ihm offenbar wurde." Im Alter von vier Jahren folgte Christine ihrem Vater nach Paris, wo er zum Astrologen und Leibarzt von Karl V. berufen wurde. Mit fünfzehn Jahren wurde sie dann mit dem königlichen Sekretär Étienne du Castel verheiratet; während dieser Ehe - ihr Mann starb im Jahr 1390 - gebar sie drei Kinder.

Kurz vor der Jahrhundertwende begann Christine eine intensive, kämpferische Auseinandersetzung mit der verbreiteten Frauenfeindlichkeit der Männer in ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Zunächst kritisierte sie den damals populären "Rosenroman" der Kleriker Jean de Meung und Guillaume de Lorris; und sie entwarf das Gegenkonzept eines eigenen "Rosenordens" für die Frauen. Danach beendete sie im Jahr 1405 die Arbeit an ihrem wichtigsten Werk, dem Buch von der Stadt der Frauen. Zu Beginn erzählt sie von einer zufälligen Lektüre in ihrer Studierstube, wo sie auf die Lamentationes Matheoli, die Klagen des Matthäus, eines Klerikers aus Boulogne-sur-Mer, stößt. Sie erschrickt über die zahlreichen frauenfeindlichen Verse des Verfassers. Doch während sie noch über ihre eigenen Urteile nachzudenken versucht, erscheinen ihr drei vornehme Frauen, die Frau "Vernunft", die Frau "Rechtschaffenheit" und die Frau "Gerechtigkeit", die ihr den Auftrag erteilen, eine "Stadt der Frauen" zu errichten. Nahezu vier Jahrhunderte vor Olympe de Gouges, mehr als hundert Jahre vor der Drucklegung der Utopia von Thomas Morus, entwickelt Christine de Pizan die Vision eines "Zufluchts- und Trostraums, bewohnt von einer femininen Elite".

Sendereihe

Gestaltung

  • Peter Zimmermann

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