Zwischenruf
Ohne Du kein Ich
Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, im Nachklang des 60. Todestages des Religionsphilosophen Martin Buber, interreligiöser Brückenbauer und Verfechter des dialogischen Prinzips, ohne Unterschiede zu verleugnen
17. August 2025, 06:55
Im Nachklang des 60. Todestages des Religionsphilosophen Martin Buber, interreligiöser Brückenbauer und Verfechter des dialogischen Prinzips, ohne Unterschiede zu verleugnen.
von Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Ich bin mit Martin Buber und seinen Schriften aufgewachsen. Mit 14 Jahren wurde mir sein "Buch der Preisungen" geschenkt, das von ihm "verdeutschte", wie er sagt, biblische Buch der Psalmen.
Für Jüdinnen und Juden ist das Aussprechen des Gottesnamen tabu. Martin Buber setzt anstelle des Gottesnamen das von ihm so bezeichnete "schwache Wort" DU. Für mich war das damals eine Art von Offenbarung. Es geht um Beziehung, weil Gott in der Wahrnehmung der Gläubigen den Menschen anspricht, ist er ansprechbar mit DU.
Größte Resonanz fand Martin Buber mit dem von ihm so genannten "Dialogischen Prinzip". Was zwischen Menschen zu "Begegnung oder zu Vergegnung" führt, ist jene Grunderfahrung, die sein Denken bestimmt. Es geht ihm um die Begegnung, den Dialog zwischen dem Ich und dem anderen, zwischen dem Menschen und dem "ewigen Du", Gott. Wenn Buber feststellt: "Am Anfang ist die Beziehung", dann ist es eine Beziehung der Gegenseitigkeit, direkt, gegenwärtig und intensiv. In ihr geschieht Begegnung mit der anderen Person als ganzem Wesen. Die andere Person erscheint dann als Subjekt, nicht als Objekt.
Für Buber kann man Beziehungen nicht haben, man kann nur in Beziehung sein. Er nennt diese Beziehung Ich-Du-Beziehung. "Der Mensch wird am Du zum Ich." Ein Gespräch beruht für Martin Buber auf Einfühlungsvermögen für den anderen, auf ein Sich-hinein-Versetzen, ein Miteinander zur Wirklichkeitserweiterung, es geht um ein "Gespräch Sein" und nicht nur um ein "Im Gespräch Sein".
Als "Vergegnung" hat Buber sein Verhältnis zu Christen mit dem Besuch des Gymnasiums in Lemberg angefangen. In der Schule bestand ein Nebeneinander im Miteinander von jüdischen und katholischen Schülern, doch während des Schulgebets, so berichtete er einmal "standen wir Juden unbeweglich da, die Augen gesenkt." Es gab keinen spürbaren Judenhass, "aber auf mich," erinnerte sich Martin Buber, "wirkte das pflichtmäßige Stehen im tönenden Raum der Fremdandacht schlimmer, als ein Akt der Unduldsamkeit hätte wirken können. Gezwungene Gäste (
) acht Jahre lang." Später macht er ein Angebot: Als gemeinsam nennt Buber "Ein Buch und eine Erwartung. Für euch ist das Buch ein Vorhof, für uns ist es ein Heiligtum, aber in diesem Raum dürfen wir gemeinsam weilen".
Ohne Du kein Ich und die Bewegung von der Vergegnung hin zur Begegnung - das sind zwei Prinzipien Bubers, die ich für allgemein gültig halte: unabhängig von Weltanschauung oder Religion. Und die heute für mich wertvoller denn je sind. Weil sie in einer Zeit der Polarisierungen und Spaltungen Alternativen anbieten. Was für ein Geschenk!
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Joseph Haydn
Titel: Sonate für Klavier Nr.56 in D-Dur Hob.XVI/42
* Andante con espressione - 1.Satz (00:09:53)
Klaviersonate
Solist/Solistin: Alfred Brendel /Klavier
Länge: 09:53 min
Label: Philips 4122282