Vom Leben der Natur
Die große Welle und das Geheimnis der wahren Natur
Der Ostasienwissenschaftler Thomas Tabery spricht über Hokusais Farbholzschnitt.
Teil 2: Reizvolle Widersprüche.
26. August 2025, 08:55
Man sieht sie auf T-Shirts, Tapeten, Turnschuhen und Tassen, Wasserflaschen, Handyhüllen oder Golfbällen, ja sogar als Emoji - eine "große Welle" hat die Popkultur überrollt und fasziniert seit 200 Jahren. Der japanische Künstler Katsushika Hokusai, der das Motiv geschaffen hat, war auf der Suche nach der "wahren Natur". Doch das Bild scheint vor allem etwas über uns Menschen zu verraten. Was ist das Geheimnis dieses Meisterwerks?
Von links stürzt sie steil über ein tiefes Wellental in das Bild hinein. Die Gischt spritzt weiß; sie scheint direkt nach etwas zu greifen und der Wellenkamm wird jeden Moment über den Booten zusammenbrechen, deren Insassen das Rudern aufgegeben und sich auf die Planken gekauert haben - "unter der Welle im Meer vor Kanagawa", auch die Große Welle genannt, ein Farbholzschnitt des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai, entstanden um 1830.
Groß war der Andrang, als die Große Welle im Frühjahr 2025 als Höhepunkt der Jahresausstellung "Farben Japans" in der Bayerischen Staatsbibliothek in München gezeigt wurde, wo Dr. Thomas Tabery als Leiter der Orient- und Asienabteilung eine bemerkenswerte Sammlung verwaltet, die erst vor Kurzem um ein sehr gut erhaltenes, frühes Exemplar des Motivs erweitert wurde.
Die Komposition, die Farbigkeit und der Detailreichtum, die Handwerkskunst, die Ästhetik, die Hintergründe der "Bilder einer fließenden Welt" - es ist vieles, das den Kunsthistoriker an dem Werk begeistert und das Bild so herausragend macht. Erstmals wurde damit Natur in den Mittelpunkt der Holzschnittkunst gestellt - und das hat viel mit einem speziellen Lebensgefühl zu tun und mit dem besonderen Anspruch eines Künstlers, die "wahre Natur" zu begreifen.
Doch auch, ob die große Welle vor Kanagawa historisch oder realistisch ist, beschäftigt die Forschung. Kann es sein, dass Hokusai eine solche Welle mit eigenen Augen gesehen hat? Es ist beides möglich, sagt Thomas Tabery, man weiß es nicht genau. Dass so genannte Monsterwellen, nicht bloß Seemannsgarn sind, darüber herrscht seit spätestens 1995 Gewissheit, als eine norwegische Ölplattform eine Riesenwelle gemessen hat.
Über den ikonischen Einblattdruck "Unter der Welle im Meer vor Kanagawa", ein Meisterwerk der Naturdarstellung und seine ungebrochene Faszination, hat Barbara Zeithammer mit Thomas Tabery in München gesprochen.
Service
Gesprächspartner:
Dr.Thomas Tabery
Leiter der Orient- und Asienabteilung
Bayerische Staatsbibliothek, München
Bayerische Staatsbibliothek
Ausstellungskatalog: Farben Japans. Holzschnitte aus der Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek.
Kerber Verlag, ca.376 Seiten
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Sendereihe
Gestaltung
- Barbara Zeithammer