Ein Gelbwesten-Demonstrant

APA/AFP/Loic VENANCE

Punkt eins

Rückkehr der Gelbwesten in neuem Gewand?

Frankreich droht ein Generalstreik. Gast: Ass.-Prof. Dr. Thomas Angerer, Historiker, Romanist, Institut für Geschichte der Universität Wien. Moderation: Alexander Musik. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Der Countdown auf der Website des Kollektivs "Les essentiels" zählt unerbittlich die Sekunden bis zum 10. September. An diesem Tag "wird Frankreich stillstehen", heißt es über der Uhr: "Mach dich bereit, wieder die Kontrolle über dein Leben zu übernehmen."

Die Drohung der "Essentiels" wird ernstgenommen: Ihr Gründer, Julien Marissiaux, wird zwar auf Wikipedia ein "rechtsextremer Verschwörungstheoretiker" genannt, seinem Aufruf, das Land lahmzulegen, sind dennoch viele andere, disparate Gruppierungen und Parteien gefolgt. Sie treiben seit Wochen mit dem Slogan "Bloquons tout" - lasst uns alles blockieren! - die Politik vor sich her.

Auslöser für den erneuten Unmut im Land ist der Sparplan von Premierminister François Bayrou. Es geht um 44 Milliarden Euro für 2026, außerdem die Abschaffung zweier Feiertage - Maßnahmen gegen die immense Staatsverschuldung, die mittlerweile bei 113 % des Bruttoinlandsprodukts liegt.

"Seit 40 Jahren heißt es, die Staatsverschuldung sei zu hoch", sagt Marissiaux in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, "deshalb brauche es Einschränkungen und Anstrengungen von allen. Aber es kann doch nicht sein, dass Menschen zwischen Heizen und Essen wählen müssen, während ehemalige Präsidenten und Premierminister Privilegien anhäufen."

Angesichts des Stichtages mit seinen unkontrollierbaren Folgen für das Land ist François Bayrou nun in die Offensive gegangen und will am 8. September in der Pariser Nationalversammlung die Vertrauensfrage stellen. Bayrou will unter allen Umständen ein Szenario abwenden, das die Presse schon an die Wand malt: wilde Streiks, Ausschreitungen, Straßenblockaden - kurz: die Wiederkehr der Gelbwesten, die 2018 das ganze Land in Atem gehalten hatten, in neuem Gewand.

Die Opposition hat bereits angekündigt, dem Premier ihr Vertrauen entziehen zu wollen. Daher gilt es als unwahrscheinlich, dass der angeschlagene Bayrou, Chef einer Minderheits-Regierung, den 8. September politisch überstehen wird. Bereits im Dezember 2024 war Bayrous Vorgänger, Michael Barnier, kaum drei Monate im Amt, mit dem Versuch gescheitert, einen Sparplan für Frankreich durchs Parlament zu bringen und trat nach einem Misstrauensvotum der Opposition zurück.

"Selbstmörderisch oder mutig - in dieser Ankündigung steckt zweifellos ein bisschen von beidem", findet die Pariser Zeitung "Libération" Bayrous Vorstoß. Und "La Stampa" aus Turin kommentiert: "Es wird vor allem ein Test für die politische Stabilität eines Schlüssellandes in der EU sein, den Brüssel, Washington, Kyjiw und Moskau mit Angst oder Zufriedenheit beobachten werden."

Alexander Musik spricht mit dem Historiker und Frankreich-Kenner Dr. Thomas Angerer vom Institut für Geschichte an der Universität Wien über Struktur und Sprengkraft neuer und alter Protestbewegungen und das Risiko eines "heißen" Herbstes.

Wie immer sind Sie eingeladen, sich an der Sendung zu beteiligen. Kostenlos aus ganz Österreich können Sie uns unter 0800 22 69 79 erreichen; oder Sie schreiben uns ein Mail an punkteins(at)orf.at

Wie schätzen Sie die Chancen François Bayrous ein, seinen Sparplan doch noch durchzusetzen? Werden die Franzosen und Französinnen ihren Unmut wieder auf die Straßen tragen? Wie nehmen Sie den sozialen Zusammenhalt unter Emmanuel Macron wahr?

Sendereihe

Gestaltung

  • Alexander Musik

Playlist

Urheber/Urheberin: Jean-Philippe Rameau
Titel: Suite In E Minor_ V. Le rappel des oiseaux
Ausführender/Ausführende: Angela Hewitt
Label: Hyperion

Urheber/Urheberin: Jean-Philippe Rameau
Titel: Suite In G Minor_ VIII. L'egiptienne
Ausführender/Ausführende: Angela Hewitt
Label: Hyperion

Urheber/Urheberin: Jean-Philippe Rameau
Titel: Suite In G Minor_ IV. La poule
Ausführender/Ausführende: Angela Hewitt
Label: Hyperion

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