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Punkt eins
Schicksalsjahr 1931: Erinnerungen an die Gegenwart
Der Anfang vom Ende der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in Österreich. Gast: Dr. Dr. Helene Belndorfer, Zeithistorikerin, Wirtschaftswissenschaftlerin. Moderation: Andreas Obrecht. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
8. September 2025, 13:00
Im November 1930 fanden die letzten Nationalratswahlen der Ersten Republik statt. Anders als in Deutschland - wo die NSDAP bei der Wahl im gleichen Jahr auf über 18% kam - verfehlten die Nationalsozialisten mit rund 3 % der gültigen Stimmen den Einzug in das österreichische Parlament. Trotzdem wird in dem Folgejahr 1931 das Ende von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eingeleitet. Das k. und k. der Monarchie wird auch in der öffentlichen Wahrnehmung zusehends zu einem K. - Korruption - und K. - Kollaboration.
Der Versuch einer deutsch-österreichischen Zollunion - laut dem Politologen Anton Pelinka "Anschluss Light" - wird aufgrund des massiven Widerstandes von Frankreich, der Tschechoslowakei und anderer europäischer Länder vereitelt. Im Mai des gleichen Jahres gibt die Bundesregierung den Zusammenbruch der altehrwürdigen Österreichischen Credit-Anstalt, des größten Finanzplayers in Mitteleuropa, bekannt und schnürt ein Rettungspaket, das mit 1.100 Millionen Schilling rund die Hälfte des Staatshaushaltes ausmacht. Die Folgen sind dramatische Sparprogramme und ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit - bei gleichzeitiger Kürzung der Pensionen und der Arbeitslosenbezüge. Schließlich will Mitte September der paramilitärische Heimatschutz "im Sinne seiner Grundsätze die Macht im Staate" ergreifen. Dieser - frei nach Mussolini - "Marsch auf Wien" wird aber durch den - im Ministerrat nach sozialdemokratischen Interventionen von der Bundesregierung beschlossenen - Einsatz des österreichischen Bundesheeres beendet. Zeitgenössischer Kommunikationsstrategie gelang es trotzdem - bis zum heutigen Tag weitgehend erfolgreich - dem Putschversuch das euphemistische Etikett "Operettenputsch" anzuheften. Am 18. Dezember 1931 sprach das Geschworenengericht in Graz die dann nur mehr acht Angeklagten, darunter den aus Deutschland zurückgekehrten Anführer Walter Pfrimer, einstimmig frei.
Die Zeithistorikerin Helene Belndorfer hat diese Ereignisse in dem heuer erschienenen Buch "Zollunion, Bankenkrise, Putschversuch" detailreich dargelegt und bereichert die Auseinandersetzung mit den Gedenkjahren 1933/34 um eine historische Vertiefung jener Ereignisse, die zu Austrofaschismus und Bürgerkrieg führten. Trotz aller kontextueller Unterschiedlichkeit ortet sie dabei viele Ähnlichkeiten, teils auch Parallelen, die in die politische Gegenwart führen: Der Staat rettet mit Riesenmengen öffentlicher Gelder private Banken, die meist - aber nicht immer, wie der Fall Hypo Alpe Adria belegt, - "too big to fail" sind und sich nach Spekulationsverlusten oder sonstigen Fehlkalkulationen nicht mehr selbst retten können. Belastungspakete verändern die Beziehung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft - "Arbeitsplätze" und "Rationalisierung" waren schon damals Kampfmittel. Die "ganze Welt" habe "über ihre Verhältnisse gelebt", urteilte der Präsident des Gewerbevereins und folgerte: "Nur Sparsamkeit führt zur Besserung". Heute wie damals wird mit Zöllen Politik gemacht und versucht Macht und Druck auf Konkurrenten auszuüben. Auch Putschversuche gehören im 21. Jahrhundert zum Repertoire gewaltsamer politischer Handlungsweisen. Man denke an den Sturm auf das Capitol in Washington am 6. Jänner 2021 oder den mutmaßlich geplanten Staatsstreich, der eine Erstürmung des Deutschen Bundestages vorsah. Wie damals ist auch heute täglich von einer "neuen Weltordnung" und der "Verschiebung der Machtverhältnisse" die Rede - und trotz diverser Friedensstiftungsbemühungen wird auch heute wieder weltweit massiv aufgerüstet, mit sehr ungewissem Ausgang.
Helene Belndorfer ist zu Gast bei Andreas Obrecht, analysiert das Schicksalsjahr 1931 und diskutiert mit den Hörerinnen und Hörern, welche Lehren daraus für die Gegenwart zu ziehen sind.
Wie immer freut sich die Redaktion über Ihre Teilnahme an dem Gespräch unter 0800 22 69 79 während der Sendung oder unter punkteins(at)orf.at
Service
Helene Belndorfer: Zollunion, Bankenkrise, Putschversuch. 1931 oder die Erste Republik zwischen den Schatten des imperialen Oesterreich und Hitler ante portas. Böhlau Verlag, 2025
Sendereihe
Gestaltung
- Andreas Obrecht