Das eigene wort das fremde wort

8. Oktober 2025, 06:57

Ruth Klüger webt. Ihr eigenes Leben und das Leben anderer Schreibender. Erinnerungen, Analysen, Deutungen. Ruth Klüger webt, seit sie eine sehr junge Frau gewesen ist, sie wird weben, bis sie eine sehr alte Frau geworden sein wird.

Ihr Weben ist permanent. Ja immanent. Der Stoff, der so entsteht, ist ein Teppich fremder und vertrauter Erlebnisse, Träume, Abhandlungen. Ein Teppich aus Stacheldraht und Seide. Eine Durchdringung. Sie wird Freunde finden und verlieren, sie wird neue Heimaten finden, sie wird, wie schon zuvor, Worte finden. Diese Worte sprechen Wahrheit. Die Wahrheit ist zumutbar. Der Tod, die Folter, der Untergang schien nach 1938 offensichtlich zumutbar. Das Schweigen darüber ist nicht zumutbar, findet Ruth Klüger. Sie schweigt nicht.

Ihre Worte sind kühl und präzise, ein Skalpell, das bereits überwuchertes Zeitgewebe mit entschlossener Bewegung aufschneidet, ein Eiterlass, die Eröffnung von Unverheiltem und Halbvergessenen. Das, was vergessen werden will, will nicht gewusst worden sein. Ruth Klüger ist hier gnadenlos. Das, was nicht gewusst werden will, wurde gewusst, hält sie fest.

Sie hält alles fest. Das Unerträgliche ist so zumutbar wie die Wahrheit. Manchmal überschneiden sich diese beiden Begrifflichkeiten, durchdringen einander, sind eins und zwei zugleich. Klügers Weg führt durch beide hindurch. Sie kann und will nicht ausweichen. Das haben zu viele vor ihr getan. Und nach ihr werden es wieder andere auch tun wollen. Sie nicht.

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• Alexandra Mantler