Zwischenruf
Über die Vielfalt der Lebensmodelle
von Milena Heussler, evangelisch-reformierte Theologin
12. Oktober 2025, 06:55
Es ist eine Frage, die mir seit Jahren immer wieder gestellt wird: Nämlich die, wann ich plane, Mutter zu werden. Auch wenn mir scheint, dass es in den letzten Jahren üblicher geworden ist, diese Frage nicht mehr so offenherzig zu stellen, geschieht es doch immer wieder: Auf Familienfeiern, in Freundesrunden, manchmal auch im Beruf. Zunehmend höre ich sie auch indirekt aus den Nachrichten heraus, die von der fallenden Geburtenrate berichten.
Obwohl ich eine für mich akzeptable Antwort auf diese Frage gefunden habe, so öffnet sich dennoch mit jedem Mal, mit dem sie mir gestellt wird, ein innerer Raum voller schwieriger Gefühle: Wut, Frust, Unsicherheit, Traurigkeit und auch Angst. Mit dieser Frage wird nämlich sichtbar, wie sehr die Identität als Person, die gebären kann, verknüpft ist mit Vorstellungen darüber, wie ein gutes Leben auszusehen hat. Ein Leben mit Kindern, so scheint die Gleichung zu lauten, bedeutet ein Leben ohne Einsamkeit. Ein Leben mit Kindern würde heißen, im Alter tendenziell versorgt zu sein, für den Rest des Lebens eine Aufgabe zu haben. Es wird deutlich: Unsere Ideen davon, wie Gemeinschaft über eine Lebensspanne aussehen kann, sind noch immer stark geprägt von diesem spezifischen Bild der Familie.
Aber nicht nur eine potenzielle einsame Zukunft wird mit dieser Frage in den Raum gestellt. Auch in dem Moment, in dem sie gestellt wird, vermittelt sie ein Gefühl des Alleinseins: Diejenigen, die gerne ein Kind hätten und aus unterschiedlichen Gründen nicht können, werden auf ihre Trauer zurückgeworfen, die sie oft im Verborgenen tragen. Und denjenigen, die keine Kinder bekommen wollen, kann diese Frage den Eindruck vermitteln, mit ihrem Wunsch alleine zu sein und sich dafür rechtfertigen zu müssen.
Trauer und Einsamkeit finde ich auch in den biblischen Erzählungen von Menschen, die sich ein Kind wünschen und keines haben können: Frauen wie Hannah beten alleine. Ihr Leiden an der Kinderlosigkeit kann nur durch ein wundersames Eingreifen Gottes gemildert werden. Doch die biblische Tradition enthält auch Teile einer Antwort auf die Frage, wie ein gutes und erfülltes Leben jenseits der eigenen Reproduktion aussehen kann: So bildeten die frühen Christen und Christinnen Gemeinden, die sich familienähnlich verstanden und sowohl Menschen mit, als auch ohne Kinder umfassten.
Queere Communities und Initiativen wie die der kinderlosen Aktivistin Jody Day zeigen heute, dass Netzwerke der Gemeinschaft von jungen und alten Menschen füreinander in Alter und Krankheit sorgen, unabhängig von einer reproduktiven Verwandtschaft. Es sind diese Blickwinkel, die mir Hoffnung machen für all die, die mit der Frage ringen, was ein Leben jenseits der eigenen Reproduktion bedeuten kann. Sie zeigen eine Vielfalt von Lebensmodellen und dass ein Leben in Sorge umeinander und auch im Alter in Gemeinschaft nicht unbedingt damit verknüpft ist, ob man selbst leibliche Kinder in diese Welt bringt.
Für mich hat dies auch etwas zutiefst Christliches: Denn das Christentum versteht Menschen als Brüder und Schwestern jenseits der genetischen Verwandtschaft - die als solche füreinander Verantwortung tragen.
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Joseph Haydn
Album: Morning - Fazil Say
* 2. Satz: Adagio
Titel: Sonate für Klavier C-Dur, Hob XVI: 35
Klaviersonate
Solist/Solistin: Fazil Say /Klavier
Länge: 05:28 min
Label: Parlophone 5021732261366
EAN: 5021732261366
