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Punkt eins

Der islamistische Extremismus auf dem Vormarsch

Die Herausforderungen der Radikalisierung und der Kampf gegen die extremistische Ideologie der Islamisten. Gast: Moussa Al-Hassan Diaw, Islamismusforscher, Experte für Extremismusprävention, Gründer von DERAD. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Mit 16 "heiratete" sie einen IS-Kämpfer, mit 17 lief sie von zu Hause weg und reiste nach Syrien, um sich dort der Terrororganisation anzuschließen. Das sei der größte Fehler ihres Lebens gewesen, sagte die heute 28-jährige Salzburgerin Maria G. am 1. Oktober vor Gericht. Sie wurde wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation zu 24 Monaten bedingter Haft verurteilt; das Urteil ist rechtskräftig. Ihre Radikalisierung kann sie sich heute nicht mehr erklären.

"Radikalisierung als Ausdruck von Pubertätsproblemen, eine Modeerscheinung oder eine vorübergehende Laune, ein von selbst verschwindendes Phänomen oder als Resultat einer bösen, diskriminierenden österreichischen oder deutschen Gesellschaft zu beschreiben, ist zu einfach und oft falsch", schreibt der Islamismusforscher und Experte für Extremismusprävention Moussa Al-Hassan Diaw in seinem soeben im Brandstätter Verlag erschienenen Buch "Die Radikalisierten. Wie islamistischer Extremismus junge Menschen vereinnahmt und unsere Gesellschaft herausfordert" und warnt eindringlich davor, die extremistische Ideologie zu verharmlosen oder zu unterschätzen. Er stellt fest: Radikale Einstellungen kommen immer mehr in den Mainstream und extremistische Ideologien verbreiten sich aktuell sehr stark unter jungen Menschen.

"Die Sicherheitslage hat sich in Österreich durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel sowie durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nachhaltig verändert. Der islamistische Extremismus stellt die größte Bedrohungslage dar. Nach dem 7. Oktober 2023 kam es zur einer zunehmenden Dynamisierung der Online-Radikalisierung von Jugendlichen", sagte Innenminister Gerhard Karner Ende Mai, als der Verfassungsschutzbericht präsentiert wurde. Seit Anfang Oktober ermittelt die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) in Österreich gegen die islamistische Terrororganisation Hamas.

Das Attentat von Villach im Februar, der vereitelte Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzertpublikum 2024, der Terroranschlag in Wien, der sich am 2. November zum fünften Mal jährt - wie und wo werden junge Menschen radikalisiert? Wie schnell geht so etwas? Was groß ist die Bedeutung der Online-Welt? Wer ist besonders anfällig? Welche Rolle spielt die Religion, welche die Familie? Wie lässt sich Radikalisierung erkennen, wie lassen sich Menschen gegen extremistische Ideologien und Handlungsweisen immunisieren und wie kann Deradikalisierung gelingen?

Diese Fragen beschäftigen Moussa Al-Hassan Diaw in seinem wissenschaftlichen wie praktischen Alltag; er forschte u.a. an der Universität Osnabrück zu politischer Ideologisierung von Religion und ist u.a. Mitglied des Radicalisation Awareness Network der Europäischen Kommission. 2015 gründete er die NGO "DERAD - Extremismusprävention, Dialog und Demokratie": Ein Team aus Pädagogen, Politik- und Islamwissenschaftlern, Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen und Geschichtsforschern bietet Beratung und Begleitung, eine große Vielfalt an Bildungsangeboten und ist im Auftrag des österreichischen Justizministeriums für die Betreuung von wegen Terrorismus angeklagten und verurteilten Menschen in Gefängnissen in Sachen Extremismusprävention zuständig. Für seine Tätigkeit wurde Moussa Al-Hassan Diaw mit dem "European Citizens Award" des Europäischen Parlaments ausgezeichnet.

In seinem Buch gibt Moussa Al-Hassan Diaw einen spannenden Ein- und Überblick über verschiedenste Gruppen und Strömungen, Begrifflichkeiten und Symbole und die Versatzstücke einer religiös-ideologisch motivierten Radikalisierung. Er beschreibt Aspekte der europäischen Migrationsgeschichte, die extremistische Ideologie, ihre Propaganda und Verbreitung als ein weltweit zu adressierendes Problem und stellt auch unangenehme Fragen, sei es nach Schutzsuchenden als Täter oder plötzlich guten Islamisten. Anhand zahlreicher Fallbeispiele aus zehn Jahren Deradikalisierungsarbeit der NGO DERAD gibt er Einblicke in die praktischen Methoden und Möglichkeiten der Deradikalisierung, ohne falsche Erwartungen zu wecken: Es gibt kein Muster, keine Schablone, kein immer gleiches Rezept, auch keinen Zeitplan und keine Garantie.

Worum geht es in der Auseinandersetzung mit extremistischen Ideologien und dem Bemühen um radikalisierte Personen? Wie kommt man mit ihnen in Kontakt, wie wichtig sind dabei Sprachkenntnisse und religiöses Fachwissen, wie findet man Wege, radikalisierte Menschen zu erreichen? Wo gibt es zwischen den Institutionen, Behörden und Organisationen Fehlerquellen und wie kann der Rechtsstaat Radikalisierten begegnen, die sich nicht von ihrer Ideologie lösen?

Moussa Al-Hassan Diaw ist zu Gast bei Barbara Zeithammer und Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Erfahrungen mit uns zu teilen, Ihre Fragen zu stellen unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Moussa Al-Hassan Diaw: Die Radikalisierten. Wie islamistischer Extremismus junge Menschen vereinnahmt und unsere Gesellschaft herausfordert. Brandstätter Verlag, 2025

DERAD - Extremismusprävention, Dialog und Demokratie
Aufgrund von Drohungen gegen Leib und Leben finden die Vereinstätigkeiten an wechselnden Orten statt.

Beratungsstelle Extremismus Helpline: 0800 2020 44
Montag-Freitag, 10:00-15:00 Uhr
Anonym und vertraulich! Kostenfrei aus ganz Österreich

Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN): Wir als DSN sind beim Schutz unserer Verfassung auf Ihre Mithilfe angewiesen. Bitte zögern Sie nicht, uns auf extremistische und radikale Videos und sonstige Inhalte elektronischer Medien, die einen Bezug zu Österreich aufweisen, hinzuweisen: Meldestelle Extremismus und Terrorismus
Hinweis: Diese Art der Kontaktaufnahme ist nicht geeignet, um Notfälle zu melden. Bei akuter Gefahrensituation wenden Sie sich bitte an die allgemeinen Notrufdienste unter 133 oder 112.

Für Vorfälle im Zusammenhang mit neonazistischen, rassistischen und antisemitischen Inhalten darf auf die NS-Meldestelle verwiesen werden.

Bundesstelle für Sektenfragen

Spezifische Melde- und Beratungsstellen zu Antisemitismus in Österreich

OeAD-GmbH - Agentur für Bildung und Internationalisierung: Mit dem Programm "Starke Schule, starke Gesellschaft"
werden die bisherigen Erfahrungen aus "Extremismusprävention macht Schule" aufgegriffen und in einen breiteren gesellschaftspolitischen Kontext gestellt. Ziel ist es, demokratische Werte, soziale und emotionale Kompetenzen sowie Medienbewusstsein und mentale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen zu stärken.

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