Zwischenruf
Minderheitendasein - Minderheitenrechte
von Pastor Peter Zalud, Vorsitzender des Rates der Freikirchen in Österreich
19. Oktober 2025, 06:55
Zu Beginn ein kurzes Gedankenexperiment: Ich befinde mich an der Grenze meines Heimatlandes, passiere die Grenzkontrolle und sehe mich um; ähnliche Häuser, ähnliche Menschen, aber eines ist anders: Ich habe ein fremdes Land betreten und zähle hier plötzlich zu einer staatsbürgerlichen Minorität. Was fühle ich in diesem Moment?
Minderheitendasein hat viele Aspekte und zugrundeliegende Auslöser. Es können politische, ethnische, wertebasierte, soziale oder religiöse Gründe sein, warum man sich einer Minorität zugehörig fühlt. Per se muss dieser Umstand nicht negativ sein. Genauso wenig, wie es immer gut sein muss, zur Mehrheit gezählt zu werden. Die Geschichte ist uns da eine gute Lehrerin.
Ausschlaggebend sind dabei die innere Überzeugung und das persönliche Gewissen, die zum gesellschaftlichen Gemeinwohl beitragen. Nicht umsonst zählen das Recht auf Leben, persönliche Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, sowie der Schutz der Menschenwürde zu unseren Grundrechten, ganz unabhängig von der Minderheit oder Mehrheit, zu der man gezählt wird.
Auch die Freikirchen in Österreich haben sehr klein begonnen, mit der ersten Glaubenstaufe vor 500 Jahren - als Folge einer persönlichen und freiwilligen Entscheidung für den Glauben an Jesus Christus, was zur damaligen Zeit einem Aufstand gleichkam. Die sogenannten Wiedertäufer begannen, sich außerhalb der Staatskirchen zu organisieren und erlebten einen neuen, persönlichen und lebendigen Zugang zum Glauben an Jesus Christus. Das gelebte Evangelium bahnte sich einen Weg in die damalige europäische und in der Folge auch amerikanische Gesellschaft und trug nicht nur zur Ausformung erster demokratischer Gebilde wie zum Beispiel dem Recht auf freie Wahlen bei, sondern hinterließ ab da weltweit seine Spuren im Bereich der Bildung sowie zahlreicher sozialdiakonischer Dienste.
Die Freikirchen in Österreich bestehen seit zwölf Jahren als gesetzlich anerkannte Kirche. Sie zählen somit zu der jüngsten anerkannten Kirche, die sich noch mitten im Wachstum befindet. In rund 230 lokalen Kirchen werden regelmäßig Gottesdienste gefeiert, rund 2.400 Kinder und Jugendliche werden wöchentlich in freikirchlicher Religion unterrichtet und in unterschiedlichen sozialdiakonischen Einrichtungen erfahren Menschen Unterstützung, Begleitung und Fürsorge. Persönlich. Praktisch. Konkret. Insofern darf Minderheitendasein auch immer mit der Frage der Wirksamkeit in Verbindung gesetzt werden.
Unabhängig von der Anzahl unserer Mitglieder oder der Gesinnung der Mehrheit, ist es unser Anliegen, gemeinsam mit anderen Kirchen auf die Hoffnung, Kraft und Freude des Evangeliums von Jesus Christus inmitten unserer Gesellschaft hinzuweisen.
Deshalb bin ich tief davon überzeugt, dass eine mutige Rückbesinnung auf die christlichen Wurzeln Europas und biblische Werte gerade inmitten der aktuellen Herausforderungen einen grundlegenden positiven Einfluss auf unsere gesamtgesellschaftliche Entwicklung haben kann.