
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Gedanken für den Tag
Als Yakov weinte
Miriam Metze, Philosophin, über die unglückliche Liebe
23. Oktober 2025, 06:57
Als er Rachel zum ersten Mal sah, weinte Yaakov. Im Buch Genesis heißt es, dass er sie küsste, mit Tränen in den Augen. Warum, das steht da nicht. Aber die tragische Geschichte dieses Liebenden sollte seinen Tränen Recht geben.
Es begann alles mit einem Betrug. Um Rachel zu bekommen, sollte Yaakov sieben Jahre für ihren Vater Laban arbeiten, aber am Morgen nach der Hochzeitsnacht fand Yakov heraus, dass sein Schwiegervater in spe nicht umsonst bei der Partybeleuchtung gespart hatte. Im Dunkel der Nacht hatte Yaakov nämlich nicht Rachel geheiratet, sondern Leah, ihre ältere Schwester. Also arbeitete er wieder, wieder sieben Jahre und dann bekam er Rachel endlich - oder fast. Denn Rachel, die liebte ihn nicht. Warum ich das weiß? Nur so viel: Einmal tauscht sie eine Liebesnacht mit Yaakov gegen Alraunen ein, die Drogen von damals. Aber darf Yaakov denn eigentlich traurig sein?
Sappho, die griechische Dichterin, hat einen Trost für den weinenden Mann - und eine Kritik. Sie sagt, Yakov hätte eine falsche Vorstellung davon, was es heißt, in der Liebe Glück zu erfahren. Das Schönste, das es auf der Welt gäbe, sagt sie, das seien nicht die großen Schiffe oder ein Heer von Soldaten, sondern die Wünsche jener, die lieben . die Wünsche, schreibt Sappho, und nicht: die in Erfüllung gegangenen Wünsche. Liebe ist nämlich anders als der Krieg, sagt sie, sie hat nichts mit Erobern und Besitzen zu tun. Yaakov aber, der hat die Liebe mit Willhaben verwechselt, und darum dachte er, dass er weinen dürfte.
Service
Miriam Metze, "Unerwidert lieben - eine philosophische Tröstung", Verlag Mairisch 2026
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Fritz Kreisler 1875 - 1962
Album: Danses nobles et sentimentales
Titel: Liebesleid - für Violine und Klavier
Solist/Solistin: Dmitry Sitkovetsky
Solist/Solistin: Pavel Gililov
Länge: 01:10 min
Label: Virgin Classics 259791-231