Punkt eins

Die Staatsoper - Bühne österreichischer Identität

70 Jahre nach der Wiedereröffnung: Hochkultur als Pfeiler der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung. Gäste: Univ.-Prof. i.R. Mag. DDr. Oliver Rathkolb, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien & PD Dr. Peter Stachel, Institut für Kulturwissenschaften, Österreichische Akademie der Wissenschaften. Moderation: Marlene Nowotny. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Am 5. November 2025 jährt sich die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper nach ihrer Zerstörung in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. Aus diesem Anlass beleuchtet "Punkt eins" die Staatsoper als zentralen Ort des kulturellen Selbstverständnisses und der Erinnerung Österreichs. Die Oper trägt als wesentlicher Teil der Hochkultur seitdem dazu bei, eine positiv besetzte "Österreichidentität" aufzubauen und zu stabilisieren und ist für das "Musikland Österreich" auch ein wesentlicher ökonomischer Faktor.

Wiederaufbau und Wiedereröffnung der Staatsoper waren ein zentrales politisches Thema der jungen Zweiten Republik und definierend für die Suche nach einer neuen Identität. Die Historiker Oliver Rathkolb von der Universität Wien und Peter Stachel von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben die Umstände des Wiederaufbaus und den politischen Stellenwert der Wiener Staatsoper in verschiedenen Arbeiten beleuchtet und damit eben auch die Bedeutung für Selbstdarstellung und Auswahrnehmung, für die europäische Musikkultur und identitätspolitische Konstruktionen.

Hier spielt auch die historische Aufarbeitung der Staatsoper selbst eine Rolle: Eine Entnazifizierung fand dort nach 1945 nur marginal statt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatsoper wurde eine Art unpolitische Haltung attestiert. Das betraf alle Dienstebenen, nicht nur bekannte Namen wie den Dirigenten Karl Böhm, der 1955 die "Fidelio"-Premiere zur Wiedereröffnung dirigierte und das Haus als Direktor leitete. Böhm hatte in der NS-Zeit dem "Kampfbund für deutsche Kultur" angehört, der sich dafür einsetzte, die Berufung von Künstlern jüdischer Abstammung abzulehnen bzw. zu verhindern.

Böhms Direktionszeit endete bereits 1956, nicht jedoch wegen seiner politischen Vergangenheit. Der Stardirigent war oft abwesend wegen Gastspielen und Tourneen im Ausland. Dazu befragt, meinte er, er denke nicht daran, seine Karriere der Wiener Oper zu opfern. Das Wiener Opernpublikum quittierte das bei der nächsten Vorstellung mit einem Pfeifkonzert. Der Skandal eskalierte, als Böhm beim Abgang sagte, dass "der Pöbel die Herrschaft über die Wiener Oper übernommen" habe.

Ob der "Pöbel", wie Böhm es nannte, jemals die Herrschaft über die Wiener Staatsoper übernommen hatte, ist höchst fraglich. Denn Bildung und Einkommen spielen bis heute eine entscheidende Rolle, wenn es um Opernbesuche bzw. hochkulturelle Angebote im Allgemeinen geht. 2022 gaben 15 Prozent der Erwachsenen in Österreich an, Opern- oder Operettenaufführungen besucht zu haben. Für viele dürften die damit verbundenen Kosten die wesentliche Hemmschwelle sein.

Welche Rolle spielen Institutionen wie die Staatsoper also heute für die kulturelle und politische Identität Österreichs und wie war das vor 70 Jahren? Wie stand es damals um die Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung Österreichs als Musik- und Kulturland? Und inwiefern hat sich dieser identitätspolitische Zugang in den vergangenen 70 Jahren verändert?

Darüber spricht Marlene Nowotny mit Oliver Rathkolb und Peter Stachel. Und mit Ihnen: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Das ORF-WISSEN-Ressort Zeitgeschichte/Zeitgeschehen befasst sich auch in einer TV-Doku mit der Wiener Staatsoper als Bühne "unserer" Identität: "Wiener Staatsoper - Weltbühne für Österreich" (TV-Dokumentation, 45 Min., Regie: Alexandra Venier, Buch: Gerald Heidegger und A. Venier) wird am 5. November ausgestrahlt, 22.30 Uhr, ORF 2 und auf ORF ON.

Auf ORF Topos lesen Sie mehr über Die unentdeckte Wiener Staatsoper. Dort finden Sie auch das neue Zeitgeschichte-Audioformat über Geschichten hinter unserer Geschichte.

Service

Die unentdeckte Wiener Staatsoper

TV-Tipp: "Wiener Staatsoper - Weltbühne für Österreich"
5. November, 22.30 Uhr, ORF 2 und auf ORF ON
TV-Dokumentation, 45 Min., Regie: Alexandra Venier, Buch: Gerald Heidegger und A. Venier

Hör-Tipp: Eröffnung der Wiener Staatsoper 1955
Mit Chris Tina Tengel, Ö1, 6. November, 14:05 Uhr

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