PICTUREDESK.COM/APA/HANS KLAUS TECHT
Gedanken für den Tag
Zeitzeugen - Wanderer zwischen zwei Welten
von Hannah Lessing, Vorstand des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
21. November 2025, 06:57
"Wanderer zwischen zwei Welten". So hat der Historiker Martin Sabrow den Zeitzeugen genannt - einen Wanderer zwischen der Welt der Vergangenheit und der Gegenwart. Der Begriff "Zeitzeuge" - wir begegnen ihm heute überall, wo es um Gedenkkultur in Zusammenhang mit der NS-Zeit geht. Er ist so selbstverständlich, als hätte es ihn immer schon gegeben.
Dabei ist der Zeitzeuge eine recht junge Figur: Erst nach den 1960er-Jahren hat er sich einen festen Platz in unserem Wortschatz gesichert - im Gefolge des aufsehenerregenden Prozesses gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann. Damals hat das Gericht über 100 KZ-Überlebende befragt. Aus ihren individuellen Erfahrungen hat sich mosaikartig ein größeres Bild zusammengesetzt. Sabrow spricht von der "Geburt des Zeitzeugen".
So hat sich im Laufe der Jahre die Rolle der NS-Opfer in der öffentlichen Wahrnehmung gewandelt: Aus Unsichtbaren, deren Geschichten lange keiner hören wollte, sind sie zu "Trägern der Erinnerung" geworden. Ihre Berichte empfinden viele als eine Via Regia zur Erinnerung, weil sie emotionaler und greifbarer sind als die kühlen Fakten der Geschichtswissenschaft.
Im Nationalfonds habe ich diese Entwicklungen über drei Jahrzehnte verfolgt, und ich habe viele Überlebende persönlich kennengelernt. Ich finde es schön und wichtig, dass sie endlich Gehör finden, dass sie diese späte Wertschätzung erfahren. Gleichzeitig denke ich mir: Liegt diese späte Wertschätzung daran, dass sie die letzten sind? Dass sie bald nicht mehr da sein werden? Wie viele NS-Opfer sind in den Jahrzehnten nach dem Krieg gestorben, ohne dass ihnen jemand zugehört hätte? Wie viele, die man nicht gesehen hat? Schopenhauer hat über das Innewerden und Schätzen gesagt: "Erst wenn wir sie verloren haben, wird uns ihr Wert fühlbar."
Service
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Bearbeiter/Bearbeiterin: Lola Descours
Komponist/Komponistin: Aaron Copland
Album: Hommage à Nadia Boulanger
Titel: Old poem. Lied für Singstimme und Klavier. Bearbeitet für Fagott und Klavier
Solist/Solistin: Lola Descours
Solist/Solistin: Paloma Kouider
Länge: 02:47 min
Label: Indesens IC039
EAN: 0650414314769
