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Gedanken für den Tag
Ich will verstehen
Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum 50. Todestag von Hannah Arendt
1. Dezember 2025, 06:57
"Ich will verstehen" - in einem Interview nennt Hannah Arendt das als Motor ihres Lebens. 1906 in Hannover geboren, aufgewachsen in Königsberg, studierte sie in den 1920er Jahren Philosophie, musste als Jüdin aus dem nationalsozialistischen Deutschland fliehen und wurde in Amerika zur politischen Theoretikerin, die ihre Zeit und Welt zu verstehen suchte.
So wurde sie zu einer unkonventionellen, in kein Schema passenden Denkerin und Journalistin, die ein "Denken ohne Geländer" praktizierte. Sie war überzeugt: "Es gibt keine gefährlichen Gedanken, das Denken selbst ist gefährlich." Denken ist für Hannah Arendt kein Herumtheoretisieren. "Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist", sagt sie in demselben Interview. Sie ist keiner philosophischen oder akademischen Denkschule zuzuordnen, sondern spricht in ihrem eigenen Namen. Und sie verteidigt ihre Unabhängigkeit, die, wie sie dem Schriftsteller Uwe Johnson schrieb, "sich unter kein Urteil zwingen lässt als das eigene".
Das hat immer wieder irritiert. Auf einem Symposium über ihr Werk in Toronto wurde sie gefragt: "Was bist du? Bist du eine Konservative? Gehörst du zu den Liberalen? Wo stehst du?" Hannah Arendt gab zur Antwort: "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht und habe es nie gewusst. (
) Und ich muss sagen, dass mich das völlig kalt lässt. Ich glaube nicht, dass die wirklichen Fragen dieses Jahrhunderts durch so etwas auch nur im geringsten aufgehellt werden."
Diese Eigenständigkeit des Denkens von Hannah Arendt fasziniert mich immer wieder. Und dadurch wirkt sie auch bis heute. Dabei kam es ihr gerade auf die Wirkung gar nicht an. Das volle Zitat aus dem Interview lautet: "Ich selber wirken? Nein, ich will verstehen. Und wenn andere Menschen verstehen - im selben Sinne, wie ich verstanden habe -, dann gibt mir das eine Befriedigung wie ein Heimatgefühl."
Service
Ursula Ludz (Hg.), "Hannah Arendt: Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk. Mit einer vollständigen Bibliographie", Piper Verlag 1996
Thomas Wild, "Hannah Arendt", Suhrkamp BasisBiographie 2006
Willi Winkler, "Hannah Arendt. Ein Leben", Rowohlt Verlag 2025
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Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Chick Corea
Album: TOUCHSTONE
Titel: Duende/instr.
Solist/Solistin: Chick Corea
Ausführender/Ausführende: Lee Konitz
Ausführender/Ausführende: Carol Shive
Ausführender/Ausführende: Greg Gottlieb
Ausführender/Ausführende: Bob Magnusson
Länge: 03:07 min
Label: GRP 42
