Armenische Frau trauert neben einem toten Buben, 1915

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Betrifft: Geschichte

Der Kaukasus und das Erbe des Genozids

Gewünscht: Geschichte (3). Historiker:innen beantworten Fragen von Schüler:innen. Frage von: Berdan (17). Antwort von: Philipp Ther, Professor für Geschichte Ostmitteleuropas und Leiter des Forschungszentrums für die Geschichte von Transformationen, Universität Wien.

In den beiden Ferienwochen beantworten Expertinnen und Experten aus den historischen Disziplinen Fragen von Schülern und Schülerinnen. Berdan aus dem 15. Bezirk in Wien hat gefragt: "Welche Auswirkungen hatte der armenische Genozid auf den Kaukasus?" Die Antwort gibt Philipp Ther, Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien. Schon 2011 erschien sein Buch "Die dunkle Seite der Nationalstaaten" über ethnische Säuberungen im modernen Europa.

Der Genozid an den Armenier:innen im heutigen Ostanatolien geschah 1915/16. Bei Massakern und bei Todesmärschen durch das anatolische Hochland und die syrische Wüste kamen rund 1,2 Millionen Menschen ums Leben. Schon seit dem 19. Jahrhundert hatte es in der Region immer wieder Konflikte zwischen christlichen und muslimischen Volksgruppen gegeben. Im Ersten Weltkrieg sah sich das osmanische Reich durch die Expansion Russlands von Osten her und die erstarkende armenische Nationalbewegung unter Druck. Die Regierung fasste daraufhin den Entschluss, die armenische Minderheit zu "beseitigen".

Ein Teil der Überlebenden konnte sich in das Gebiet des heutigen Armenien retten. Es folgten Versuche, im Kaukasus Nationalstaaten zu gründen, um nicht gleich wieder unter russische Herrschaft zu gelangen. Doch nach der russischen Revolution stand bald ein neues Imperium - das sowjetische - vor der Tür. Unter Lenin, in den 1920er Jahren, wurde den Völkern des Kaukasus noch eine gewisse Autonomie eingeräumt. Unter der Herrschaft Stalins änderte sich das. Die Konflikte um gemischt besiedelte Gebiete wie Bergkarabach machte sich Moskau zum Teil gezielt zunutze, um die Region unter Kontrolle zu halten.

Beim Zerfall der Sowjetunion flammten die alten Konflikte praktisch sofort wieder auf. Vor allem Armenier:innen wurden erneut zu Zielen von Massakern und ethnischen Säuberungen. Armenien militarisierte sich daraufhin und eroberte zeitweise große Gebiete, worauf Aserbaidschan wiederum mit Aufrüstung reagierte. 2023 eroberte Aserbaidschan Bergkarabach vollständig, die dort lebenden Armenier:innen wurden vertrieben. Bis heute verweisen nationalistische Politiker auf die über hundert Jahre alten Konflikte und sprechen von "Erbfeindschaften", um immer neuen Hass zu schüren.

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  • Xaver Forthuber