Gemeinsam erinnern
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Ein Kilo Zucker zu viel
Herr König, Jg. 1938 - 20. Mai 2025, 15:49
Wie das aus war, ist von der Gemeinde eine Gruppe gekommen, paritätisch zusammengesetzt aus den drei Parteien, und haben geschaut, ob wir Lebensmittel gehortet haben. Meine Mutter hat drei oder vier Kilo Zucker gehabt und da waren zwei da und der eine hat gesagt: „Das ist ja viel zu viel, was sie da haben“. Also eine Familie mit 5 Personen. Und hat darauf bestanden, dass ihr ein Kilo Zucker weggenommen wird. Und ein Zweiter, das war der Kommunist interessanterweise, sagt: „Geh lass doch der Frau den Zucker.“ Ich weiß die Namen auch, aber die sage ich lieber nicht. Meine Mutter hat sich vor dem niedergekniet und hat ihn angefleht, den Kilo Zucker zu lassen. Und der hat darauf bestanden, dass er weggenommen wird. Und ich habe mir damals vorgenommen, den bring ich um. Das ist bis heute bei mir noch drinnen. Er ist dann von selber gestorben. Die Sache war also überflüssig.
Energische Mutter verscheuchte Russen
Herr König, Jg. 1938 - 20. Mai 2025, 15:36
Meine Mutter war verwitwet und nochmal verheiratet. Ende des Krieges habe ich zwei Geschwister gehabt, eines 2 Jahre, eines 1 Jahr alt, und die Russen sind gekommen. Wir haben ein Haus in Klosterneuburg gehabt, sie sind ins Haus gekommen, die Soldaten, zu den Kindern waren sie wirklich sehr lieb. Wir haben Zuckerl gekriegt, woher sie die Zuckerl gehabt haben, weiß ich nicht. Wir waren eigentlich eher angetan von ihnen. Sie sind leider Gottes am Nachmittag oder am Abend auch gekommen und da sind ja versteckt worden. Und meine Mutter war in diesem Haus, wo wir waren, waren fünf Frauen und kein einziger Mann. Und der einzige Mann war meine Mutter. Und wenn die gekommen sind, hat sie das Fenster aufgerissen. 200 Meter von uns war eine Kommandostelle in der Hauptstraße unten und hat gebrüllt, was gegangen ist, hat einem Unteroffizier alle Ehre gemacht: „ Die Russen sind da!“ und „Kommandatura“. Und tatsächlich sind in den meisten Fällen Minuten nachher ist ein Wagen gekommen und hat die Leute aus dem Haus herausgeholt. Ob das immer gut gegangen ist? Ich muss Ihnen zugeben, ich habe die Frage an meine Mutter nicht zu stellen getraut. Fortsetzung dieser Geschichte: irgendwie hat sie die versorgen müssen. Mich hat sie an der Hand genommen mit meinem sieben Jahren, und wir sind durch die Gärten geturnt. Über die Zäune drüber, 500 Meter von uns war ein Bauer, da hat sie ein paar Liter Milch geholt. Wie wir da einmal durchgegangen sind, auf einmal steht vor uns ein Mordslackl, ein russischer Soldat mit einer Kalaschnikow umgehängt. Ja, den habe ich heute noch von mir. Der war vielleicht 18, 19 Jahr alt, war eher blond und Akne gehabt, ein par Wimmerl im Gesicht. Und meine Mutter hat mit dem gebrüllt, der hat nur die Augen aufgemacht. Nach einiger Zeit hat er sich umgedreht und ist weggegangen. Und wie wir nach Haus gegangen sind: „Ich hab mich in meinem Leben noch nie so gefürchtet“, hat meine Mutter gesagt.
Erste Zweifel am Nazisystem durch eine „Verrückte“
Herr König, Jg. 1938 - 20. Mai 2025, 15:14
Knapp vor Ende des Zweiten Weltkrieges, ich war sieben Jahre und begeistert, wenn die Soldaten herumgelaufen sind mit rotem oder blauem Band obendrauf. Die Alten haben das gestärkt: „Das sind diejenigen, die uns vor den Russen beschützen.“ Meine Sicht damals war, die waren immer sehr lieb zu uns. Eines Tages lauft die Skallgasse eine circa 25-jährige Frau herunter, den Namen weiß ich heute noch. Sie hieß Kriegl und hat fast unartikulierte Sachen vor sich geschrien. Im wahrsten Sinn des Wortes. Und alle haben gesagt, die spinnt. Und ich bin draufgekommen, die war in Mauthausen und hat gesehen, dass ihr Verlobter auf der Steinstiege, der bekannten, also praktisch zu Tode gebracht wurde und wollte das irgendjemandem mitteilen. Und damals, mit meiner sieben Jahren, ist mir gekommen der Gedanke, da muss in dem System was falsch sein. Und da sind erste Zweifel bei mir gewachsen.
Opa weinte bei Radioübertragung des Staatsvertrags
Horst Stadler, Jg. 1945 - 20. Mai 2025, 14:42
Ich hab einen Opa gehabt, eigentlich Großonkel, ich bin am Bauernhof groß geworden, er war einer, der sehr kritisch mit dem Hitler war. Aber er war so alt, dass er nicht mehr eingezogen worden ist. Er hat mir von der Nachkriegszeit erzählt. Ich weiß noch, dass er erzählt hat: am 15. Mai 1955 hat sich der Opa zwei Monate davor einen Volksempfänger gekauft. Hat eh kein Geld gehabt, aber hat ihn sich geleistet. Und dann bin ich am 15. Mai mit ihm auf der Ofenbank gesessen, und dann sind um 11 Uhr Leopold Figl und die Staatsvertragsunterzeichnungsmächte auf den Balkon übertragen worden, wo Figl die Worte gesagt hat „Österreich ist frei“. Mein Opa hat nie geweint und in diesem Augenblick hat er wie ein kleines Kind vor Freude geweint. Da war er 80 Jahre alt. Und seitdem bin ich ein glühender Verfechter der Demokratie, der Werte der Freiheit, der Vielfalt, weil ich merke, was für ein Schatz das ist, wenn man das verloren gehabt hat. Für mich ist das sicher in meiner Einstellung ein Wendepunkt in meinem Leben geworden.
Braunschweiger Wurstradlmomente
Horst Stadler, Jg. 1945 - 20. Mai 2025, 14:34
Ich bin im Februar 45 geboren und ab 1955 im Almtal in die Schule gegangen und hab vom Krieg natürlich nichts mehr mitbekommen. Was ich aber mitbekommen habe, ist folgendes: Wir sind in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Ich bin aber jeden Tag satt geworden, weil wir haben einen Bauernhof in der Nähe gehabt, wir haben im Bauernhof gewohnt, also, ich hab genug Wasser gehabt und zum Essen, aber: wir haben natürlich ein ganzes Woche kein Fleisch bekommen. Und am Sonntag hat´s ein altes Hendl gegeben, das hat´s am nächsten Sonntag noch einmal gegeben, weil das hat länger gehalten, und am Samstag am Abend hat es etwas gegeben, was einmalig war und zwar hat´s am Abend für uns Kinder a Braunschweiger gegeben, und zwar aufgeschnitten in dünne Radln und die haben wir aufs Brot gelegt. Und da weiß ich heut noch, wie ich damals als kleiner Bub mit der Zunge allweil die Braunschweiger Radln vor mich hingeschoben hab übers Brot, und ganz zum Schluss, wenn das Brot fertig war, hab ich dann die Braunschweiger Wurst, die fünf Radln, die da noch waren, vollkommen als Wurst gegessen. Das war für mich einer der tollsten Momente überhaupt, dass man so was tun kann. Für mich war Braunschweiger die reine Wonne. Es war die billigste Wurst natürlich, die damals am Markt war.
Über den Hohen Göll zu den deutschen Großeltern
Frau Seebacher, Jg. 1940 - 20. Mai 2025, 13:20
Ich leb hier in Braunau, also in Ranshofen. Braunau ist ja die Geburtsstadt Hitlers. Ich bin Jahrgang 40 und mein Bruder 42 und unser Vater stammte aus Westfalen und ist aber, als ich drei Jahre alt war, im Krieg gefallen. Meine Mutter hat dann nochmal geheiratet und wir hatten eine kleine Schwester, die war noch ein Baby und wir sollten die Ferien bei unseren Großeltern in Westfalen verbringen. Aber unsere Brücken waren ja gesprengt in Braunau. Und es gab keine Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen. Auch nicht über die Staustufe ungefähr zehn Kilometer von hier weg, was meine Mutter alles versucht hat. Und so sind wir auf die Idee gekommen, nach Salzburg bzw. Hallein zu fahren. Mein Stiefvater und meine Großmutter haben uns begleitet, weil meine Mutter hatte ja das Baby. Und wir fuhren dort und gingen unter den Hohen Göll, da gab es eine Hütte genau an der Grenze. Und ich glaube, das war das Purtschellerhaus. Und da haben sich viele Menschen getroffen. Und von der anderen Seite der Grenze ist mein Onkel gekommen. Der war ein Jahr jünger als mein Vater, und wir kannten ihn nicht. Er sollte uns abholen. Und wir mussten dort übernachten und am nächsten Tag zur Grenze gehen. Ich glaube, die Grenze ging genau durch die Hütte durch, aber man musste ein Stück gehen, da war eine Übergangsstelle, aber da kam kein Beamter. Und all die Leute, die dort gewartet haben, sind einfach nach einiger Zeit losgegangen. Mein Onkel nahm uns in Empfang und meine Großmutter und mein Vater mussten auf der anderen Seite wieder hinunter. Und wir gingen dann ein Stück. Auf einmal sagt mein kleiner Bruder zu mir: „Hast du auch so Bauchweh?“ Und ich aus voller Überzeugung: „Ja!“ Wir hatten beide Heimweh. Und plötzlich hat mein kleiner Bruder die Flucht ergriffen zwischen die Latschen und die Steinblöcke hinein und mein armer Onkel herrschte mich an: „Du bleibst aber da stehen“! und ist gerannt und hat ihn wirklich wieder zurückgebracht. Und so sind wir weiter getrottet mit ihm. Nach einer Weile hat er sich hingesetzt und hat uns eine Tube mit süßer Kondensmilch gegeben. An der durften wir saugen. Und da ist dann unser Bauchweh verschwunden, und wir waren zwei Monate bei den Großeltern und haben uns dort wohlgefühlt.
Meine Götzen sind vom Podest gefallen
Udo Saldow, Jg. 1929 - 20. Mai 2025, 13:04
Das Ende des Krieges war, wie gesagt, unglaublich chaotisch. Es waren unzählige Leute unterwegs. Opfer, Soldaten, Zivilisten. Sie wollten in den Westen, sie wollten von den Russen fliehen. Wir sind dann auch in den Westen gekommen. Wir sollten Waffen fassen und gegen die Russen kämpfen, obwohl keiner von uns je auch eine militärische Ausbildung oder eine Waffe in der Hand gehabt hätte. Wir wären also das reinste unbewusste Kanonenfutter gewesen, das man sich nur vorstellen kann. Gott sei Dank haben uns die Amerikaner überholt und somit war für uns der Krieg aus. Und dann kamen eben diese chaotischen Nachkriegstage, wo es eine Zeit gebraucht hat, bis irgendeine zivile Ordnung wieder eingetreten ist. Und dann war ich eine Zeit lang in Bad Ischl, denn meine Mutter war auch aus Wien geflüchtet. Dann hat man mir gesagt, wenn du, wenn du Lebensmittelkarten willst, dann musst du arbeiten. Und da kannst du entweder die Straße kehren oder mit einer Gruppe in den Wald gehen und Holz machen. Und natürlich habe ich dann Holz gemacht. Also man hat alle diese Dinge gemacht. Aber für uns Junge war das alles ein Abenteuer. Wir haben die wirklichen Folgen und die ganzen Gräuel, die da passiert sind, erst dann langsam absorbieren müssen. Und es war interessant zu sehen, wie die Bevölkerung im Westen selbst die Bilder, die entsetzlichen Bilder der Leichenhaufen in KZs nicht wahrhaben wollte. Man hat gesagt, das ist gestellt. Das ist heute ganz unglaublich, wie die Leute sich geweigert haben, diese Dinge zur Kenntnis zu nehmen. Ich war erschüttert. Meine Götzen sind vom Podest gefallen. Und ich bin damals bereits zu einem leidenschaftlichen Antifaschisten geworden. Und zwar im richtigen Sinne des Wortes nicht als Modewort zu verwenden. Bitte, zu einem richtigen Antifaschisten. Und diese Erschütterung, die hat bis heute angehalten.
Wodka auf Ex trinken rettete Cousine
Udo Saldow, Jg. 1929 - 20. Mai 2025, 12:58
Ich war 16 Jahre bei Kriegsende. Ich war, wie Alle, ein strammer, kleiner Hitlerjunge, das musste man ja sein, das war verpflichtend. Und es war auch nicht unlustig für uns. Wir waren nicht von Politik beleckt, nur von, wie sich dann herausgestellt hat, leerem Patriotismus. Und so gingen die letzten Tage des Krieges im Chaos und als eigentlich von uns empfundenes Abenteuer zu Ende. Mir fällt ein, dass zum Beispiel in der Wohnung meiner Großmutter zwei sowjetische Offiziere einquartiert waren, die sehr höflich und nett waren. Und ich hatte eine hübsche Cousine, etwas älter als ich. Sie war mal zu Besuch und die beiden Offiziere wollten sich diese Cousine aneignen und versuchten das damit uns betrunken zu machen. Also nicht mit Gewalt. Und ich erinnere mich, ohne je Alkohol getrunken zu haben, habe ich dann aus Wassergläsern den Wodka für meine Großmutter, für meine Cousine oder mich Ex getrunken. Und die Reaktion der Offiziere war überraschend. Sie haben mir Beifall geklatscht. Und daraufhin habe ich meine Damen genommen, ins nächste Zimmer gesperrt, und die Situation war bereinigt. Das war also eine Nachkriegsepisode. Eine eigentlich ganz witzige.
Mein Buch über die Nachkriegszeit
Othmar Nestroy, Jg. 1933 - 20. Mai 2025, 11:15
Episoden aus der Kriegs- und Nachkriegszeit in Wien
Othmar Nestroy: Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten. Episoden aus der Kriegs- und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge, Graz 2015.
ISBN 978-3-85125-424-2 (Archiv und Bibliothek der TU Graz, Band 5)
Auch als E-Book kostenfrei online lesbar auf der Website des Verlags der Technischen Universität Graz:
Käse wie im Schlaraffenland
Renate Smola, Jg. 1934 - 20. Mai 2025, 10:58
In der letzten Kriegswoche hat man sich eine Woche in den Keller verfügt, in Liesing war das, im Brauhauskeller haben wir die Bombenangriffe überstanden und dort auch gewohnt eine Woche lang. Zur selben Zeit war schon das Kriegsende mit den diversen Umbrüchen. Da haben auch schon Plünderungen stattgefunden, darunter auch Aufbewahrungsstätten von Lebensmitteln. Meine Mutter hat mir im Keller gekochte Nudeln im Keller serviert, da sind Käfer rumgeschwommen. Auf einmal kommt ein riesengroßer, mannshoher Käselaib reingerollt. Der wurde geplündert. Ich habe immer gesagt, das war das Schlaraffenland, und danach ist die Hungersnot gekommen. Wir haben uns abschneiden können wie im Schlaraffenland, so viel wir wollten. Danach war nicht genug da, um die Bevölkerung in der ersten Zeit zu versorgen. Was auch symptomatisch war: man hat dann Lieferungen bekommen von anderen Ländern und wir sind unter der russischen Besatzungsmacht gewesen, die haben ja selber nichts gehabt. Die haben uns beliefert mit Erbsen. Erbsen, das war das wichtigste Lebensmittel zu der Zeit. Die haben Eiweiß, heute wird das ja schon anders gesehen, aber damals, na ja, auf der einen Seite waren sie lebensrettend, auf der anderen war es schrecklich, wenn man nur von Erbsen abhängig ist.