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3. Essen in Kriegs- und Nachkriegszeit
Illi-3 - 22. April 2025, 11:32
Auszuge aus der Geschichte meiner Familie, die ich als Zeitzeuge (geboren 1933) für meine Kinder und Enkel geschrieben habe, um die Lebensumstände in früheren Zeiten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Teil 3.
Bald nach Kriegsbeginn wurden Lebensmittel rationiert. Es gab Reichsnährmittelkarten, Reichsfleischkarten, Reichsfettkarten, Reichsbrotkarten, Reichsmilchkarten, Reichskarten für Marmelade, Zucker und Eier. Mit Kriegsfortschritt wurde es aber immer schwerer, selbst das zu bekommen, was einem per Karte zustand.
Aufgrund der anhaltenden Mangelsituation wurde die Rationierung auch von den alliierten Besatzungsmächten nach Kriegsende beibehalten. Man lernte mit Kalorien zu rechnen, für manche nicht ganz einfach: „I hob no nia Kalorien gessn und bin net varhungert“.) Man war darauf angewiesen, sich zusätzliche „Kalorien“ zu besorgen, sei es im eigenen Garten, durch „Hamstern“ bei Bauern, Abstauben auf Feldern oder durch Schwarzhandel, wobei die „Zigarettenwährung“ eine wesentliche Rolle spielte.
Schwerpunkt unserer Ernährung waren Kartoffeln und Mais. Brot nur aus „schwarzem (Roggen-)Mehl“. Weißbrot lernte ich das erste Mal Ende 1945 kennen, durch die englische Besatzung der russischen nachfolgte. Ich war enttäuscht, denn in meiner Vorstellung hätte Weißbrot süß sein müssen! Das schwarze Mehl wurde zur Herstellung der sogenannten „Einbrenn“ verwendet, mit der damals jedes Gemüse gestreckt wurde, um es ausgiebiger zu machen. Geschmeckt hat es mir nicht, aber ich hatte ja keine Wahl.
Kuchen, wenn überhaupt, backte meine Mutter aus Schwarzmehl, oder aus Mohrrüben oder Kartoffeln. Ich erinnere mich, dass sie mir nach meiner Polypen-Operation kurz vor Kriegsende liebevoll einen machte. Er war trocken und rau, aber ich war begeistert und berührt, und er war für meinen frisch operierten Hals sehr schmerzhaft.
In ganz besonderen Fällen war der Kuchen sogar mit Staubzuger zart bestäubt. Wenn sich dabei ein kleiner Zuckerbrocken bildete, dann erhielt ich den von meiner Mutter als „Extragabe“ in den Mund gesteckt, ein Glücksmoment.
Zucker wurde, soweit zu bekommen, durch Süßstoff, wie Saccharin, ersetzt. Ich musste lernen auf Süßes, wie die geliebten „Zuckerln“, zu verzichten. An echten Bienenhonig kann ich mich nicht erinnern, manchmal bekam man „Kunsthonig“. Einen bescheidenen „Ersatz“ haben wir Kinder entdeckt, zumindest im Sommer: Annähernd süß schmeckende Pflanzen, zum Beispiel die Blüten der Taubnesseln oder auch die allerdings säuerlich schmeckenden Blätter des Sauerampfers.
Milch kannte ich nur als Magermilch. Ich erinnere mich an „falsche Schlagsahne“, als besondere Attraktion bei besonderen Anlässen. Butter ein seltener Luxus, wenn es sie überhaupt gab. Auch hier erinnere ich mich an den gewaltigen Genuss, wenn mir meine Mutter als besondere seltene Gabe ein kleines Stück, ganz blank, ohne Brot, zusteckte, wie ich es ganz langsam im Mund zerrinnen ließ, in winzigen Portionen nach und nach hinunterschluckte. Eine Wonne! Wenn überhaupt, gab es Margarine, an Thea erinnere ich mich, auf Brot meist so dünn gestrichen, dass gerade die Löcher zugeschmiert waren.
Ein dünner „Ersatzkaffee“ aus Gerste oder Eicheln, „Muckefuck“ genannt, ersetzte den vom Markt verschwundenen Bohnenkaffee.
Dank der Früchte unseres Gartens, dank verwandtschaftlicher Unterstützung und dank eingesammelter Früchte aus den Wäldern hatten wir mit Süßstoff selbstgemachte Marmelade. Und um das Wachstum im Garten zu fördern, dienten die „Pferdeäpfel“, die auf den Straßen einsammelte, als Dünger.
Das Suchen und Brocken von wilden Beeren war eine selbstverständliche Tätigkeit für uns Kinder. Leistung an einem langen Tag bis zu 5 Liter Brombeeren oder 16 Liter Schwarzbeeren.
Mein eher als Rostlaube zu bezeichnendes Fahrrad, eingetauscht gegen unseren alten Kinderwagen, war wichtig, um das uns von Verwandten in Bruck geschenkte Gemüse und Obst nach Hause zu bringen. Die Fahrt auf der mit Schlaglöchern übersäten Straße war eine Herausforderung, ohne Gepäckträger, so dass ich das, was es zu transportieren galt, im Rucksack zum Teil auf dem Rücken und zum anderen Teil in einem voluminösen Paket auf der Stange zwischen meinen Beinen hatte, was eine äußerst unbequeme, o-beinige Fahrweise erforderte. Dazu kam noch das dauernde Nachpumpen, denn die Fahrradschläuche hielten die Luft nur kurze Zeit, sie bestanden fast nur noch aus schlecht klebenden Flicken. Und sich noch einen „Patschen“ einzufangen, kam öfters auch noch dazu.
Aus den Wäldern holten wir auch Herrnpilze und Eierschwammerln, ich mit großer Begeisterung. Es waren die seltenen schönen Gelegenheiten, die ich mit meinem Vater verbringen durfte, denn daheim sah ich ihn selten, er war meist, auch sonntags, bei seiner beruflichen Tätigkeit.
Hauptnahrungsmittel war die Kartoffel, jährlich zugeteilt. 1944/45 ein ¾ kg pro Kopf und Woche, also ca. 25 kg für neun Monate, die wir kühl gelagert im Keller halten mussten, in der Hoffnung, dass im nächsten Sommer noch etwas übrig war, außer den nun gewachsenen Trieben. Auch Äpfel wurden über den Winter gelagert, und wenn man Glück hatte, wurden sie nicht ganz verrunzelt oder sogar faul.
Eine Chance, unseren Kartoffelvorrat etwas aufzubessern, lag darin, abgeerntete Felder nach Resten abzusuchen. Ich sehe noch meine Mutter und mich in der Abenddämmerung gebückt dahingehen, den Blick angestrengt auf die Erde gerichtet, um nichts zu übersehen. Man brauchte Geduld und Glück, um fündig zu werden, wobei ein gelegentlicher Griff in ein noch nicht abgeerntetes Feld doch mit einem schlechten Gewissen verbunden war.
Besonders erinnere ich mich auch an das, was wir die „gelbe Gefahr“ nannten, an den Sterz, auch als Polenta, Mais oder als Kukuruz bekannt, man könnte Mais sogar als überlebenswichtiges Lebensmittel einstufen. Meine Mutter war äußerst kreativ, sie setzte den Mais für zahlreiche Speisevarianten ein: Brot aus Maismehl, Suppen, der übliche bröckelige oder auch dünnflüssigen Sterz, manchmal mit Süßstoff gesüßt auch als „Mehlspeise“, alles mehr oder weniger gelb aussehend.
Und hier unser weihnachtliches Festmenü 1945: Gemischter Salat mit Wurst und dunklen Semmeln. Und der Stephanitag wurde mit Ersatzkaffee und falschem Schlagobers begangen.
Außer mit der Lebensmittelkarte konnten Lebensmittel auch im Tauschhandel, nach Kriegsende auch am Schwarzmarkt erworben werden. Um dazu „Zigaretten-Geld“ zu kreieren, lernten wir, solche selbst herzustellen: Anpflanzen in unserem Garten, gut gedüngt mit den gesammelten Pferdeäpfeln, Auffädeln und Trocknen der Blätter auf Schnüre, Bestreichen mit Zuckerwasser, Zusammenlegen zu fingerdicken Stößen, Erhitzen im Backrohr, Schneiden und Eindrücken in leere Zigarettenröhrchen.
Den Respekt vor dem, was auf dem Teller ist, den sparsamen Umgang mit Essen, haben wir damals sicher gelernt. Auf dem Teller etwas überzulassen, gab es nicht, wäre unvorstellbar gewesen, ebenso etwas nicht zu essen, auch wenn es gar nicht schmeckte. Sogar den Teller abzulecken, wurde manchmal toleriert, weil es im Sinne einer rationellen Essensverwertung lag.
Im Sommer 1945 und 1946 konnte ich zur Unterstützung der Nahrungsmittelversorgung meiner Familie etwas beitragen, indem ich ihnen meine Lebensmittelkarte überlassen konnte, weil ich jeweils zwei Monate als „Bauernknecht“ in der Weststeiermark im Einsatz war. Der erste begann zu Ferienanfang einen Tag vor meinem 12. Geburtstag . Es war harte Arbeit, speziell für einen eher unterernährten Zwölfjährigen, aber ich machte sie gern und ich bekam ausreichend zu essen. In einem Brief schilderte ich es meiner Großtante: „Täglich um 6,30 aufstehen, mit dem Rad der Tante Resi (die Bäuerin) fahr ich Milch abliefern, dann Grünfutter holen in einem Schubkarren für die Kühe und Schweine, mittags und abends Stall ausmisten, beim Kühe füttern helfen und Schweine, Hasen und Hühner füttern. Am Vor- und Nachmittag verschiedenes: In der ersten Zeit bei der Weizenernte: Bänder machen, die Garben zusammenbinden, zusammentragen, auf Gerüste binden. Dann begann die Heuarbeit: Mähen wurde mir nicht beigebracht, aber das Gras auseinander streuen, zu Mittag wird es umgedreht und abends auf Wände (Holzgestelle) aufgehängt. Nach einigen Tagen dann wird es von den Wänden auf einen Leiterwagen geladen, der von einer Kuh gezogen in die Scheune gefahren wird. Meist aber wurde die Kuh geschont, wegen ihrer Milchproduktion, und wir schoben den Heuwagen selbst, vorne in den Deichseln der alte Bauer und ich hinten. Es ging mit Karacho den Berg hinunter und unten über eine schmale Brücke, die erwischt werden musste, über den Bach. Später im Jahr dann Äpfel brocken. Danach kam auch der Mais dran: wird gebrochen und dann geschält. Bei der Weinlese war ich dann nicht mehr dabei, musste nach Hause in die Schule.“
Bei diesem Einsatz passierte es, dass ich beim „Rübenhauen“ meinen linken Fuß traf. Ein Stück Haut und Fleisch flog auf das Feld, zur Freude eines Huhns. Die Wunde blutete stark. Zum Arzt gehen war nicht vorgesehen. Man fand rasch eine passende Betätigung für mich, sitzend, das Bein hochhaltend: Mohn „Auskiefeln“. „Untätiges Herumlungern“ war eben auch nicht drin.
Im Blick vom Heute zurück in diese Zeit möchte ich bemerken, dass ich nicht bedaure, diese Zeit des allgemeinen Mangels erlebt zu haben. Sie hat bis heute noch Spuren hinterlassen.
Man lernte, mit buchstäblich allem sparsam umzugehen und auf eine eventuelle weitere Verwendung zu achten, eben mit dem zurecht zu kommen, was man hatte.
Ein bildhaftes Beispiel dazu: Ich drücke jede von mir benützte Tube bis zum letzten Rest aus, oder schneide sie auf, um den Rest verwerten zu können. Und wenn ich irrtümlich zu viel herausgedrückt habe, dann versuche ich, es wieder zurück in die Tube zu ziehen!
Das Wort „Nachhaltigkeit“ gab es damals nicht, aber man hielt sich daran. Heute wird dieses Wort viel gebraucht, aber es wird kaum danach gelebt.
2. Teil: Kriegsende mit russischer Besatzungsmacht
Illi-2 - 22. April 2025, 11:28
Auszuge aus der Geschichte meiner Familie, die ich als Zeitzeuge (geboren 1933) für meine Kinder und Enkel geschrieben habe, um die Lebensumstände in früheren Zeiten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Teil 2.
Das Kriegsende war eine gravierende Änderung. Ich kannte zuvor nichts anderes als das SN-Regime und ganz plötzlich war ich kein Hitlerjunge (Pimpf) mehr. Total ungewohnt und mir deshalb schwerfallend, war zum Beispiel die erforderliche andere Art des Grüßens, statt des alleinigen „Heil Hitler“ nun „Grüß Gott“, „Guten Morgen“ bzw. „Guten Abend“ oder sogar „Küss die Hand“! So passierte einem zum Beispiel oft noch lange, dass beim Eintritt des Lehrers in die Schulklasse automatisch die rechte Hand in die Höhe schnellte, so wie es einem jahrelang beigebracht wurde.
Man spürte eine allgemeine Veränderung der Stimmungslage, einerseits Freude, dass der Krieg zu Ende ist, andererseits aber Besorgnis, wie die Zukunft unter den Besatzungsmächten sein wird. Denn eine Verbesserung der Lebensumstände zeigte sich nicht, im Gegenteil, der Mangel an allem war noch gravierender. In meiner Erinnerung waren die nächsten zwei Jahre die härtesten, die ich erlebt habe. Wir Kinder mussten viel verantwortliche Tätigkeiten übernehmen, für die wir eigentlich noch zu jung waren. Aber dies erschien mir damals als selbstverständlich.
Als ich am Morgen des ersten „Friedenstages“ aus dem Fenster hinunter in unseren Hof schaute, blickte ich in die Mündung einer Kanone, die dort in einer frisch ausgehobenen Grube aufgestellt war. Darum herum zahlreiche russische Soldaten. Bald darauf ein stürmisches Klopfen an der Eingangstür unserer Wohnung und unsere ganze Familie stand voll Angst auf der anderen Seite. Erst viel später konnte ich ermessen, was für eine wahnsinnig schwierige, gefährliche Situation das für meine Eltern gewesen sein muss. Würde die Tür halten? Sollten wir besser öffnen? Was, wenn sie den Stößen nicht standhielt und die Russen dann nicht nur in der Wohnung, sondern auch noch verärgert wären? Glücklicherweise hat die Tür gehalten. Die Soldaten zogen weiter und verschafften sich wohl in anderen Wohnungen Einlass. Aber ein paar Tage später trommelten wieder Russen heftig an unsere Tür. Diesmal klärte unsere Großmutter die Situation souverän. Sie öffnete die Tür stellte sich vor die Russen, meinen dreijährigen Bruder auf dem Arm, und herrschte die Russen lautstark an, das Kind bräuchte Ruhe. Die Russen waren so perplex, dass sie betroffen zurückwichen, obwohl sie sicher kein Wort verstanden haben.
Meine siebzehn Jahr alte Schwester war zu dieser Zeit in der nahe liegenden Wohnung meiner Großmutter versteckt. Mit großem Entsetzen sahen wir gegenüber auf dem Balkon meiner Großmutter russische Soldaten. Ich wurde zur Erkundung hinübergeschickt, denn Kindern taten die Russen meist nichts. Ich hatte auch später nie Probleme mit ihnen. In Großmutters Wohnung hatte es sich ein russischer Offizier, wohl der Anführer der Russentruppe, in ihrem Bett bequem gemacht. Seine Bemühungen, die resolute Frau zu sich ins Bett zu bringen, waren erfolglos. Sie müsse sich doch um das leibliche Wohl seiner Leute kümmern, die müde und hungrig seien und was zum Essen bräuchten. Zahlreiche Soldaten hatten sich im anderen Zimmer der Wohnung, zumeist am Boden auf den Teppichen hockend, niedergelassen. In diesem Zimmer, in der Ecke hinter dem Kachelofen, war meine Schwester versteckt. Die Russen verlangten nach Alkohol. Meine Großmutter kam auf die Idee, mich dazu einzusetzen, die Russen zum Gasthof Dorn am anderen Ende der Stadt zu führen, von dem es hieß, dass es dort noch Schnaps gäbe. Die Aussicht auf Alkohol lockte sämtliche Soldaten aus der Wohnung und so geschah es, dass ich zwölfjähriger Stöpsel durch Leoben marschierte, hinter mir eine Schar alkoholgieriger russischer Soldaten und auch der Offizier war dabei. Währenddessen konnte meine Schwester, als alter Mann verkleidet, in unsere Wohnung zurückgebracht werden.
Nicht weit von unserer Wohnung war die Kaserne, in die nun die Russen eingezogen waren. Sie kannten wohl keine Toilette mit Spülung, damals noch mittels einer Ziehkette zu bedienen; deshalb wurde kolportiert, sie würden die von ihnen als „Strickzimmer“ bezeichnete Toilette auch zum Waschen benützen. Wie schon erwähnt, zumeist hatten sie Kinder gern. Ich konnte in der Kaserne problemlos aus- und eingehen, nutzte dies als große Chance, unsere Familie mit Essbarem, was sie mir meist freundlich zusteckten, zu versorgen. So wurde mir öfters meine 3-Liter-Milchkanne aus der Gulaschkanone vollgefüllt. Und beim Herumstreifen durch die Räume konnte ich herumliegende Brotreste einsammeln. Das hat uns nahrungsmäßig sehr geholfen, über diese Zeit hinwegzukommen.
Durch mein Herumstreichen in der russischen Kaserne habe ich mir aber auch Wanzen eingefangen, erkennbar durch blutige Flecken auf dem Betttuch. Das war alles eher als lustig! Wie wir sie bekämpft haben, weiß ich nicht mehr. Läuse, worunter viele klagten, hatte ich interessanterweise keine, wohl aber meine Schwester.
Ein Kuriosum: Wenn man in die amerikanische Besatzungszone einfuhr, wurde einem am Kragen zwischen die Kleidung mit einem Pulverzerstäuber das Infektionsmittel DDT hineingeblasen. So sorgfältig achteten die US-Amerikaner auf die Hygiene! Beim Übertritt von der englischen in die russische Zone wiederum wurden die Anzahl der Stempel im Pass gezählt. Wenn die Anzahl nicht stimmte, ich glaube elf oder zwölf waren vorgeschrieben, dann musste der Betroffene einen Tag für die Russen Holz hacken, wie mir erzählt wurde.
Die russische Besatzung „genossen“ wir drei Monate lang bis September 1945. Im Zuge der endgültigen Aufteilung Österreichs in vier Besatzungszonen kam die Steiermark jetzt in den Hoheitsbereich der Engländer. Damit versiegte das von mir besorgte Zusatzessen aus der Russenkaserne, so dass unsere Versorgungslage wieder schlechter wurde. Vor ihrem endgültigen Abzug leisteten die Russen noch „ganze Arbeit“, indem sie im Bestreben möglichst viel mitzunehmen, ganz einfach mit ihren Lastautos an die Häuser heranfuhren und aus den Fenstern der Wohnungen, die sie besetzt hatten, alles, was nicht angekettet war, Kleidung, Möbel, Lampen, etc., sah ich auf die Ladeflächen herunterfliegen, auch aus den obersten Stockwerken. Übrigens wäre es sehr unklug gewesen, damals auf der Straße eine Armbanduhr zu tragen, man kam mit Sicherheit ohne „Uri“ wieder nach Hause! Für mich ungefährlich, ich besaß noch keine Uhr. Das galt eben alles noch als Kriegsbeutegut, obwohl der Krieg eigentlich vorbei war. Ob sie mit diesen demolierten Dingen viel anfangen konnten, ist fraglich.
1. Erlebnisse in den letzten Kriegswochen
Illi-1 - 22. April 2025, 11:19
Auszuge aus der Geschichte meiner Familie, die ich als Zeitzeuge (geboren 1933) für meine Kinder und Enkel geschrieben habe, um die Lebensumstände in früheren Zeiten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. 1. Teil.
1933 geboren verbrachte ich die Kriegs- und Nachkriegszeit zusammen mit meiner ältere Schwester und meinem dreijähriger Bruder bei meinen Eltern, in einer Mietwohnung in Leoben wohnend. Wenn ich an diese frühe Zeit zurückdenke, dann fallen mir vor allem die häufigen Fliegeralarme ein, die viele Zeit, die wir im Luftschutzkeller verbrachte. Auf Leoben fielen aber keine Bomben, wohl aber hörten wir oft die auf Graz zufliegenden Flugzeuge. Der heute bei Feueralarm gegebene Sirenenton, der den Fliegeralarm einleitete, berührt mich heute noch unangenehm. Ich war nicht begeistert, immer wieder nachts aus dem warmen Bett geholt zu werden, aber man nahm es als selbstverständlich hin, wir Kinder kannten es nicht anders. Rückblickend zeigt es mir, dass sich der Mensch an von ihm nicht zu beeinflussende Umstände gewöhnen kann. So hatte ich auch keine Angst, dass etwas Schreckliches passieren könnte.
Das Schicksal, ausgebombt zu werden oder wie es vielen anderen damals erging, sogar fliehen zu müssen, blieb mir und meiner Familie erspart. Auch spätere Einquartierungen durch die Besatzungsmächte blieben uns erspart. Was eine zerbombte Stadt bedeutet, erlebte ich in Graz, wo der Bahnhof und das Gelände herum nur noch aus Bombentrichtern bestand. Beim Umsteigen in einen Anschlusszug musste man zwischen den Trichtern balancierend lange Strecken zu Fuß gehen.
Die Züge, von kohlebeheizten Dampflokomotiven gezogen, waren so voll, dass ich froh war, wenn ich noch einen „Stehplatz“ auf den Puffern zwischen den Waggons fand. Für die 70 km lange Strecke von Leoben bis Graz war man mehrere Stunden unterwegs. Einmal erlebte ich unterwegs einen Fliegerangriff. Der Zug hielt auf freier Strecke an und ich rannte mit den anderen Reisenden unter Bäume, Schutz suchend vor einem niedrig fliegenden Jagdflugzeug, welches auf uns herunterschoss.
In der Nähe von Leoben waren Fliegerabwehrkanonen (FLAK), bei deren Einsatz Granatsplitter entstanden, bizarre Gebilde, die ein beliebtes Sammelobjekt waren. Ich erinnere mich, dass während eines Bergausflugs die FLAK geschossen hat und wir uns in Böschungen, die Rucksäcke auf den Kopf haltend, zu schützen versuchten. In den letzten Kriegsmonaten konnte man auch Gewehrpatronen finden, wohl von durchziehenden, vielleicht fliehenden Soldaten, denn die Front im Osten war nicht mehr sehr fern.
Leichtsinnig schlugen wir Buben diese auf, holten das Schießpulver heraus und hatten Spaß daran, mit diesem am Boden Figuren zu bilden und sie an einem Ende anzuzünden. Unsere Eltern wussten nichts von diesem gewagten Spiel!
Kurz vor Kriegsende. Anfang April 1945, erlebte ich in Leoben einen Durchzug von Gefangenen. In langen Schlangen zogen armselig und erschöpft aussehende Menschen in schmutzigen weißlich-grauen Gewändern - ungarische Juden, wie ich viel erfuhr - durch die Stadt, eskortiert von einigen zivilen und uniformierten Personen. Das war zwar aufregend für mich, aber eher spannend, man eilte hin, war neugierig, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es mich besonders berührt hat. Ich meine auch gesehen zu haben, vielleicht weiß ich es auch nur aus Erzählungen, dass Gefangene, die nicht mehr weiterkonnten, erschossen wurden. Dieses Ereignis ist als „Todesmarsch“ in die Geschichte eingegangen.
Ich erinnere mich noch deutlich an die in den letzten Kriegswochen fliehenden Menschen, die mit übervoll beladenen, von Pferden oder auch selbst gezogenen und geschobenen Leiterwägen durch die Stadt kamen. Von so einem Wagen reichte mir einmal eine Frau einen kleinen Schemel, sie erkannte wohl, wie sinnlos es für sie war, diesen mitgenommen zu haben und war glücklich, dass ich mich darüber freute. Die Menschen, darunter auch Soldaten, kamen von Osten, aus Richtung Bruck und gingen weiter in die andere Richtung, vor den Russen fliehend, in der Hoffnung, die westliche Front der Amerikaner zu erreichen.
Was habe ich damals empfunden, als ich mich zwischen diesen Fluchtwägen und den vielen fliehenden Menschen herumbewegte? Jahrelang hörte ich nur von Siegen der Deutschen und nun dieses vernichtende Ende, dieses Chaos. Es war beängstigend, aber ich glaube nicht, dass ich mir viel Gedanken gemacht habe, ich nahm auch dies hin, genauso wie die bedrückenden Umständen der Kriegsjahre davor. Ich war wohl zu jung, um Zusammenhänge erfassen zu können.
Ganz kurz vor Kriegsschluss hatte ich noch ein besonders Erlebnis. In dem ganzen Wirbel dieser letzten Kriegstage lag auf den Straßen allerlei Kriegsgut herum, darunter auch Gewehre, für die meine Freunde und ich sich besonders interessierten. Wir nahmen welche an uns, keiner kümmerte sich darum, und wir schossen am Flussufer der Mur, von den Eltern nicht einsehbar, auf in Büschen aufgehängte Glühbirnen. Gegenüber am anderen Ufer hörten wir auch Schüsse, da waren wohl andere, die sich derselben Beschäftigung hingaben. Plötzlich spürte ich einen Schlag am rechten Knie, den ich zunächst nicht besonders beachtete. Da sah ich, wie einer meiner Freunde schreiend, am Unterschenkel stark blutend, die Uferböschung hinaufrannte, wo sich ein deutsches Soldatenlager befand. Ich bemerkte, dass es in meinem linken Schuh feucht-warm wurde und sich mein Strumpf darüber rot färbte. Vor Schreck, weniger wegen eines Schmerzes, als mehr über das Blut, das mich erschreckte, begann ich auch zu schreien und lief ihm nach zu den Soldaten, die uns halfen, unsere Wunden mit Jod bepinselten und verbanden. Man jagte uns auch eine - in der Erinnerung - überdimensional große Tetanus-Spritze in den Oberschenkel, das empfand ich als das Schlimmste. Was war nun wirklich passiert? Eine wohl verirrte Kugel vom anderen Flussufer traf zunächst die rechte Wade meines Freundes und war dann durch mein linkes Knie gedrungen, knapp oberhalb der Kniescheibe, die vermutlich ausgewichen war. Zwei Narben zeugen bis heute von diesem Vorfall und dem Glück, das ich gehabt habe.
Ich lag noch mit meiner Verwundung im Bett, als uns die Mitteilung traf, Deutschland habe kapituliert, der Krieg ist zu Ende.
Jeden Heiligabend Vaters Kriegsgeschichten
Hr. Zöch, Jahrgang 1952 - 22. April 2025, 02:41
Als Jugendlicher wunderte sich Hr. Zöch darüber, dass sein Vater am Heiligen Abend immer wieder Geschichten aus dem Krieg erzählte. Der Grund dafür wurde ihm klar, als er erfuhr, dass sein Vater am Heiligen Abend 1948 aus der sowjetischen Kriegs-gefangenschaft zurückgekehrt war. Damals kam der Vater in einem alten russischen Soldatenmantel und mit Bart und langen Haaren zurück. Er wollte sich beim Friseur herrichten lassen, aber die Leute erkannten ihn nicht und hatten Angst vor ihm, bis er beruhigte: I bin's, da Ludwig!
Vater, der Fleischhauermeister, wusste Bescheid
Hr. Zöch, Jahrgang 1952 - 22. April 2025, 02:41
Mein Vater, also Adoptivvater, war Fleischhauer, später dann Landwirt. Er war im Krieg kein Widerstandsheld, aber auch kein Nazi - eher ein Typ Soldat Schwejk: man wurschtelt sich durch und will überleben. Und weil er Fleischhauermeister war, war er bei einer Einheit, die ganz vorne an der Ostfront die russischen Kolchosen, sagen wir mal, ausgeraubert haben. Weil die Wehrmacht brauchte ja Fleisch, um die Soldaten zu ernähren. Also der hat ziemlich genau gewusst, wie es dort zugegangen ist. Wenn die Rede gekommen ist auf das 1945er Jahr und wie es bei uns war, hat der immer nur einen Satz dazu gesagt: Ja arg, aber wenn die Russen, die Sowjets, dasselbe gemacht hätten wie wir im Osten, dann wär's hier noch zehnmal ärger gewesen. Das hat mich schon irgendwie beeindruckt, das ist hängen geblieben. Ich weiß mittlerweile natürlich auch aus verschiedenen Dokumentationen, was da alles abging im Osten.
Acht Geschwister auf Kinderverschickung
Brigitte Lohinger, Jahrgang 1945 - 22. April 2025, 01:31
Schon im Alter von sechs Wochen erkrankte Brigitte Lohinger an der Ruhr, die dank der Hilfe eines jüdischen Arztes behandelt werden konnte. In den folgenden Jahren wuchs die Wiener Familie auf 8 Kinder an, und 1950 erkrankte der jüngste Bruder an einer Lungenentzündung. Die Familie hat Penicillin erhalten, was damals bemerkenswert war. Um die acht Kinder der Familie aufzupäppeln, wurden sie ins Ausland verschickt. Brigitte Lohinger selbst kam im Alter von fünf Jahren nach Südtirol, später in die Schweiz und schließlich nach Dänemark zu einer alleinstehenden Frau, die sich liebevoll um die Kinder kümmerte. Meistens wurde Brigitte Lohinger zusammen mit einem Geschwisterteil verschickt. Die Eltern wussten nicht, wo genau ihre Kinder untergebracht wurden. Wie konnten sie das aushalten? Dennoch schien es die einzige Möglichkeit zu sein, die Kinder zu versorgen. Brigitte Lohinger selbst hatte als Mädchen keine Schwierigkeiten mit der Situation, im Gegensatz zu einem jüngeren Brüder, der früh verstarb. Er hat die Belastung des Weggeschicktwerdens sein Leben lang mit sich getragen. Er wurde als kleines Kind ohne ein Geschwisterteil ins Ausland geschickt, was für ihn besonders traumatisch war.
Erste Begegnung mit einem schwarzen Menschen
Franz Rüdisser, Jahrgang 1940 - 22. April 2025, 01:31
Es waren ein paar Wochen vor meinem fünften Geburtstag. Da hatten die Franzosen, die Marokkaner Hohenems erreicht. Eine ganze Reihe von Panzern kam durch die Bahnhofstraße herunter. Plötzlich wurden die Panzerhauben nach oben geschoben. Die Köpfe von Soldaten zeigten sich, winkten, zeigten, wir sollten herankommen. Einige mutige Buben aus der Nachbarschaft kletterten auf die gegenüberliegende Gartenmauer. Und die Soldaten gaben ihnen dann etwas, ich weiß nicht mehr, waren es Kekse, war es Schokolade? Und zum Schrecken meiner Mutter rannte ich selber auch los. Kletterte auf diese Gartenmauer, streckte meine Hand aus und ich weiß es heute noch, plötzlich ein lautes Gerassel. Die Panzerhauben schlossen sich wieder. Ich rannte so schnell ich konnte zurück in unseren Keller. Aber Tage später habe ich dann doch noch etwas bekommen. Meine Mutter hat nach mir gerufen, ich solle heimkommen es ,wird dunkel, und sie haben mich gesucht, aber nicht gefunden. Sie kam wahrscheinlich fast in Panik. Die Marokkaner hatten in der Nähe unseres Hauses ein Lager aufgeschlagen. Meine Mutter, nahm allen Mut zusammen und ging in dieses Lager hinein, und dort fand sie mich. Ich saß auf den Knien eines großen, dicken Schwarzen, und der hat mich gefüttert. Was ich zu essen bekam, weiß ich nicht mehr. Aber Erinnerungen an diesen großen, dicken, schwarzen Mann, die sind sehr lebendig geblieben. Es war wahrscheinlich auch meine allererste Begegnung mit einem richtig schwarzen Menschen. Eine schöne Erinnerung.
Das Sterben des 15-jährigen Bruders
Inge Ungerböck, Jahrgang 1939 - 21. April 2025, 23:53
Mein Bruder war 15 Jahre alt. Er ist bei einem Bombenangriff am 21. Februar 1945 in der Kirche Maria vom Berge Karmel verschüttet worden und hat vermutlich innere Verletzungen gehabt. Am 12. April 1945 ist er gestorben in unserer Wohnung, dort waren zu der Zeit auch 20, 25 Russen. Mein Bruder hat gut Klavier gespielt. Er hat ihnen noch alles Mögliche vorgespielt. Die haben auf unserem Flügel getanzt und den Vodka reingeschüttet. Die Schwägerin von meiner Mama hat dann wenigstens die Möglichkeit gefunden, dass mein Bruder bei uns in der Wohnung sterben hat können, dass die Russen dann doch raus sind. Auf einem Leiterwagerl ist er dann auf den Friedhof geführt worden, meine Mama und meine Tante haben selber das Grab ausgehoben. (..) Aber einer der Russen war sehr lieb zu mir, der hat ein bisschen Deutsch gesprochen. Ich hab einen angeborenen Grauen Star, bin also fast blind und hatte dicke Augengläser. Und der Russe hat den Leuten gesagt, sie sollen mir nicht meine Augengläser wegnehmen. Der hat selber auch Kinder zu Hause gehabt. Das ist eigentlich das erste Mal, dass ich das so komprimiert jemandem erzähle.
Heimweh als Internatsschülerin der Blindenschule
Inge Ungerböck, Jahrgang 1939 - 21. April 2025, 23:03
1939 geboren und aufgrund eines angeborenen grauen Stars fast blind, kam Inge Ungerböck 1946 in die Blindenschule im 19. Bezirk in Wien, da das Blindeninstitut im 2. Bezirk noch völlig zerstört und ausgebrannt war. Inge U. kam damals ins Internat, die Zustände dort zur damaligen Zeit beschreibt sie als "ganz schlimm, katastrophal". Im Internat litt sie unter Heimweh, da sie stark an ihre Mutter gebunden war. In der Blindenschule waren auch viele Kinder, die beim Spielen furchtbare Unfälle durch Minen erlitten hatten, und dadurch ihr Augenlicht verloren hatten.
"Sie Znaimer Gurkn!", "Sie foaste Nudel!"
Helmut Friedrichsmeier, Jahrgang 1944 - 21. April 2025, 23:03
Wortgefechte mit den Einquartierten Die Amerikaner waren die ersten Einquartierten bei uns in der Bad Ischler Sommervilla meines verstorbenen Großvaters. Ich hab das spannend gefunden, diese Soldaten in Uniform bei uns zu haben. Meine junge Mutter war auch interessiert am Kontakt. Und das hat meine Großmutter verurteilt: Was werden die Leute sagen! Bald darauf mussten wir eine Flüchtlingsfamilie aus der Brünner Gegend in unserer Villa aufnehmen. Das war natürlich nicht das, was meine Großmutter wollte; die Amerikaner hatten noch einen gewissen Status verliehen. Mich hat es gefreut, weil ich als einen Spielkameraden hatte, während meine Großmutter sich bald mit der Frau dieser Flüchtlingsfamilie verfeindet hat. Meine Großmutter hat immer gesagt: Sie Znaimer Gurkn! Znaim war ja eine Gemüsezucht Gegend. Und die Frau aus Südmähren hat gesagt: Sie foaste Nudel! Meine Großmutter war ja nicht ganz schlank. An solche Wortgefechte kann ich mich erinnern. Die sind dann auch nach eineinhalb Jahre ausgezogen. Mehr dazu im Buch: Helmut Friedrichsmeier, Die Sicht von unten. Kindheitserinnerungen aus dem Salzkammergut (1948-1955)
Webseite
https://oe1.orf.at/ugcsubmission/view/b8a83fa3-e340-48a4-860d-2489b452689b/Die-Sicht-von-unten