Gemeinsam erinnern
Laut ORF-Gesetz dürfen wir Ihnen dieses Service nur zur Verfügung stellen, wenn Sie Ihre Identität durch Angabe von Vorname, Familienname und Wohnadresse bekanntgeben. (ORF-G, § 4f, ABS 2, Z 23). Sie können das entweder direkt im Zuge des Uploads tun, bzw. sich als User/in in der ORF-Community registrieren lassen. Wenn Sie bereits Mitglied der ORF-Community sind, loggen Sie sich bitte ein, wenn Sie Texte, Audios oder Bilder hochladen, bzw. solche bewerten möchten. Beiträge, für die diese Funktion freigeschaltet ist, können pro User/in nur einmal bewertet werden. Mehrfachstimmen sind möglich. Beachten Sie bitte, dass erstmalige log-ins in der ORF-Community nur wochentags bearbeitet, bzw. freigeschaltet werden können. Die Freischaltung kann einige Zeit in Anspruch nehmen.
Ö 1945-55: arm, aber reich an Bildung
Franz Albert Pichler - 2. April 2025, 17:45
Darstellung der Armut, der politischen Widersprüche, aber auch der vielen Bildungsmöglichkeiten trotz Bombenruinen in Wien.
Wir waren Hunde arm. Kriegsbedingte Binnenflüchtlinge. Anfangs lebte ich als kleines Kind in einem Dorf an der oberen Donau, in Engelhartszell. Auf der einen Seite der schmalen Donau war eine Kaserne der US- Soldaten, die meisten waren Afro- Amerikaner. Am anderen Ufer war ein russisches Lager. Auf einem schmalen Streifen entlang der amerikanischen Seite der Donau war ein Flüchtlingslager: es waren Banater, Deutschsprachige aus Rumänien und Südosteuropa, die vor den sowjetischen Truppen flüchteten. Mit den Flüchtlingskindern spielte ich am liebsten. Mit den Nazikindern im Ort hatte ich keinen Kontakt. Mir zuliebe zog dann die Familie im Sommer 1949 nach Wien, damit ich statt in einer in zwei Klassen geteilten Volksschule eine gute Schule besuchen konnte.
Bildung war für uns wichtig: am Donau Ufer hatte ich bereits die Großbuchstaben gelernt, die ich unter Anleitung meines Vaters mit einem Stecken in den feuchten Sand malte.
Vor allem in Wien war- trotz der Bombenruinen - Bildung täglich möglich: jeden Tag die Aushänge der Tageszeitungen mit hochgerecktem Hals lesen, das amerikanische, britische oder französische Kulturinstitut besuchen, Bücher billig ausleihen können. Auch die Filme waren extrem billig, die Voice of America (heute durch Präsident Trump eingestellt) war gratis. Diese Öffnung übertünchte die grauen Gebäude und verssperrten Eingänge in die Luftschutzkeller. Gespräche über verschwundene Mitbewohner des Hauses führten schon bald zum Thema Holocaust. Die messingfarbigen Stolpersteine gab es noch nicht, sonst wären diese vor unserem Wohnhaus sichtbar gewesen. Wir versuchten uns von allen Nazis fernzuhalten. Wenn ein im Nationalsozialismus berühmter Theaterdirektor aus dem Nachbarhaus kam, wechselten meine Eltern und ich den Gehsteig. Wenn ich zum Einkaufen geschickt wurde, musste ich darauf achten in keinem Geschäft eines ehemals Nazis einzukaufen. Bei jedem Spaziergang erklärte mir mein Vater das frühere nationalsozialistische Engagement des jeweiligen Geschäftsinhabers. Komplizierte Verhältnisse für einen kleinen Jungen. Die Klosterschule war ein Ruhepunkt. Am Spielplatz im Volksgarten wurde ich mit meinen roten Haaren und wegen meiner altmodischen Kleider von Nazikindern in die Mitte genommen: sie tanzten und sangen antisemitische Lieder dazu. Das war hart. Aber die Kernfrage für meine Eltern war, wie es mit Österreich, das im Zentrum von zwei Weltkriegen gestanden war, weitergehen sollte? Erst der Staatsvertrag 1955 schaffte Klarheit für meine Eltern: es gibt dieses Österreich wieder. Wir Alle tanzten am Rathausplatz. Ich war 11 Jahre alt und durfte in eine helle Zukunft blicken.
Hochzeit 1949 - Das rettende Schwein
Silvia Sator - 2. April 2025, 10:38
Für das Festessen anlässlich der Nachkriegshochzeit meiner Eltern wurde ein Schwein illegal mit einer Beiwagenmaschine nach Wien transportiert - es war als alte Dame verkleidet, um durch die russischen Kontrollen zu kommen.
Meine Eltern haben in der Pfarrkirche in Floridsdorf am Kinzerplatz mitten im Winter 1949 geheiratet. Das Hauptproblem war die Bewirtung der zahlreichen Gäste. Meine Großeltern kamen beide vom Land und hatten viele Geschwister, für die sie viele Jahre gastfreundlich der Anlaufpunkt in Wien gewesen waren. Jetzt war Zeit für die Revanche: Ein Bruder meines Großvaters mit einer Landwirtschaft in Lassee im Marchfeld war bereit, ein illegal geschlachtetes Schwein beizusteuern. Wie es gelungen ist, an eine Beiwagenmaschine samt benötigtem Benzin für die 40 km Fahrt zu kommen, weiß ich nicht. In jedem Fall war der Transport eines Schweines durch die Russenzone sehr gefährlich. So griff mein Großvater, der ein begnadetes Schlitzohr war, zu einem Trick: Man bekleidete das Schwein und setzte es mehr oder weniger aufrecht in den Beiwagen, sodass es wie eine dicke, alte Dame wirkte. Mein Vater und der Großvater auf dem Motorrad schwitzen Blut, als sie in eine Kontrolle gerieten. Sie wurden durchgewunken, weil man sich mit ein paar Brocken Russisch verständigen konnte. Ob auch eine kleine Bestechung dabei war, weiß die Familiengeschichte nicht.
So war das Festessen - für die meisten Gäste das erste nach dem Krieg - gesichert und ein großer Erfolg.
Meine Eltern bauten bis 1953 mehr oder weniger eigenhändig ein Siedlungshaus in Wien 21, am Bruckhaufen und waren 75 Jahre glücklich verheiratet.
Berufsverbot für Lehrer
Jakob Steiner - 1. April 2025, 22:42

Auszug aus den Memoiren des Lehrers Alexander U.: er schildert, wie ihm der Bezirksschulinspektor in Oberwart nach dem „Verbotsgesetz“ von 1945 im September desselben Jahres ein Berufsverbot erteilte.
Webseite
https://bibliothek.univie.ac.at/sammlungen/dokumentation_lebensgeschichtlicher_aufzeichnungen.html
Verarbeitung der Kriegszeit in der Nachkriegszeit
Dr. Ortwin Heim - 1. April 2025, 19:12
Erinnerung über Gespräche und Sichtweisen über die Kriegs- und Nachkriegszeit
"Über den 2. Weltkrieg und die Flucht meiner Familie mütterlicherseits wurde in unserer Familie nicht viel gesprochen. Wir wussten anfangs nur, dass sie 1945 stattgefunden hatte. Einzelheiten erfuhr ich erst später.. Die Nachkriegszeit von 1945 bis zum Anfang der 1950er Jahre kannte ich aus den Erzählungen und Berichten. Sie wurde als relativ unbeschwert dargestellt, vermutlich, weil der Krieg vorbei war und man sich endlich wieder wichtigen und angenehmeren Dingen zuwenden konnte. Gelegentlich wurden einzelne Ereignisse aus der Kriegszeit erzählt, aber keine größeren Zusammenhänge. Wir wussten, dass die Männer in unserer Familie als Soldaten im Krieg gekämpft hatten. Sie kamen alle unversehrt aus der Gefangenschaft zurück. Über dieses Kapitel sprach man ebenfalls wenig, einige Anekdoten sind mir bekannt.
Im Geschichtsunterricht wurde das Thema 3. Reich in der Oberstufe im Leistungskurs ein halbes Jahr lang ausführlich behandelt. Jeder Schüler hielt ein Referat zu einem Thema, ich sprach über die Außenpolitik von 1933 bis 1939. Wir erhielten auf diese Weise Einblicke in größere historische Zusammenhänge. Unser Geschichtslehrer Werner Hilgemann verstand es, durch Anekdoten und Berichte über eigene Erlebnisse, den Unterricht interessant zu gestalten und uns die Zusammenhänge zu erläutern . Er war der Autor des dtv-Atlas zur Geschichte und vieler Kartenwerke."
Reden und Schweigen
Silvia Jelinek - 1. April 2025, 14:30
In sehr unterschiedlicher Weise wurde in meiner Familie über die Ereignisse zu Ende des Krieges und danach geredet, oder geschwiegen
Ich bin 1960 geboren und in Wien im 10. Bezirk am Reumannplatz mit den Eltern und der Großmutter in einer Wohnungaufgewachsen. Der Krieg und seine Folgen in meiner Familie waren mir von klein auf präsent und prägten mich in gewisser Weise. Die drei Menschen mit denen ich zusammenlebte waren sehr unterschiedlich in ihrem Umgang mit "darüber reden" bzw. "darüber schweigen
Meine Großmutter : Wie die meisten alten Menschen wiederholte sie immer die gleichen Geschichten:
Von den Bomben, zweimal war sie mit ihrer Familie ausgebombt worden. Die Amerikaner hatten das Amalienbad mit seinem hohen Schlot für" eine Fabrik gehalten. Das Bad blieb unbeschadet, die Häuser rundum waren zerstört. Auch von den Bauern, die für zwei Schmalzbrote für ihre Kinder eine goldene Uhr verlangten, vom Hunger und von den Würmern in den Erbsen erzählt sie immer wieder mit hoher weinerlicher Stimme. Ich wollte sie nicht hören, diese Geschichten. Ich wappnete mich gegen sie mit überheblichem Desinteresse. Ich beschloß nie so eine jammernde weinerliche Person wie meine Großmutter zu werden.
Aus einer schriftlichen Aufzeichnung meiner Mutter 1933 geb. 1930:
Dann begannen die Bombenangriffe Tag und Nacht und ich habe in meiner hysterischen Angst um mein Leben bei den Angriffen entsetzlich geschrien.
Bei der Ansage im Radio „Anflug auf Kärnten, Steiermark“ schrie bald der Kuckuck und dann waren sie da, die Flugzeuge und haben ihr Zerstörungswerk begonnen. Sie haben nicht nur auf Fabriken geschossen, sondern wahllos alles was ihnen unter die Flügel kam bombadiert. Meine Mutter hat sie nicht wollen, die Amerikaner. Sie haben uns zwar befreit, aber sie haben uns alles zerstört. Meine Mutter hat gesagt, sie könne nie wieder einen Kuckuck hören. Während der Angriffe hat die Erde gegrollt und gerollt, das Licht ist ausgegangen und nicht nur ich alleine habe geschrien. Ich habe meine Bruder gehaßt, der wollte immer, es möge noch lauter krachen.
Mein Vater 1930 geb. war sein Leben lang schweigsam, er hat nichts erzählt vom Krieg, er lebte damals mit seiner Mutter in Mödling . Nur dass er nach Kriegsende arbeiten hat müssen, zusammen mit anderen einen Tunnel graben, hat er mehrmals erwähnt. Und dass er eigentlich schon sehr tüchtig gewesen ist mit seinen 15 Jahren. Dass sein Vater 1942 am Steinhof zu Tode gekommen ist habe ich von meiner Mutter erfahren.
Der Weltuntergang war mir schon als Kind eine vertraute Vorstellung. Eine unbestimmte Angst und uferlose Traurigkeit etablierte sich als ein Teil meines Wesens soweit ich mir selbst erinnerlich bin. Das Leben war hinterlegt mit der Erfahrung der Unabänderlichkeit eines bodenlos tiefen Verlustes und des alles erfassenden Bedauerns darüber.
Mit lieben Grüßen
Silvia Jelinek
Erholungskinder zum Vorzeigen bekamen nur Sterz
Peter Radacsics - 31. März 2025, 14:03
Mit Spendengeldern aus Amerika bin ich nach Graz-Liebenau auf Erholung gekommen. Es gab nur Sterz und auf Befehl mussten wir uns in der Sonne liegend vom Bauch auf den Rücken drehen, damit wir schön braun wurden. Zum Vorzeigen, damit die Spender sahen, dass die Kinder braun gebrannt und nicht mehr unterernährt waren.
Ein GI vergewaltigte meine 14-jährige Mutter
Maria P. - 31. März 2025, 13:17
Nach dem entsetzlichen Erlebnis glaubte ihre Mutter, sie hätte sich "angeboten" und warf sie aus dem Haus.
Mit offenen Holzklapperln im Schnee
Gertrude Al-Taiee, Jg. 1941 - 31. März 2025, 13:04
Während des Kindergartenbesuchs in einer Baracke im Wiener Volksgarten werden Gertrude und anderen Kindern die Schuhe gestohlen. Mitten im Winter bei Schnee muss sie dann offene Holzsandalen tragen, da es lange keine Schuhe gab.
Zuckerstückerl und Holzstückerl
Gerlinde, Jahrgang 1943 - 31. März 2025, 12:13
Zu Weihnachten beweisen die Eltern Einfallsreichtum, um Gerlinde trotz materieller Not eine Freude zu bereiten
Schulbänke verheizt
Gerlinde, Jahrgang 1943 - 31. März 2025, 11:37
Brennstoffmangel im Nachkriegs-Wien: aufgrund der strengen Kälte werden im zerbombten Schulgebäude die Schulbänke zum Heizen zerhackt. Bei der Eisenbahn zweigt man Kohlevorräte ab.